Die Internationalisierung
ökonomischer Prozesse hat seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zu einer
Entwicklung geführt, in deren Verlauf linke Bewegungen und Gruppen zunehmend
über den nationalen Rahmen hinaus politisch aktiv geworden sind. Viele dieser
Gruppen und Bewegungen rechnen sich selbst der Antiglobalisierungsbewegung zu, die Netzwerke wie attac und PGA ebenso umfasst wie die aus der eher autonomen Tradition der
italienischen Zentren kommenden tutte
bianchi. Ein großer Teil dieser Bewegungen teilt nicht nur den Willen zur
Kritik an Internationalisierungsprozessen im Produktionsbereich und
insbesondere an der Zunahme weltweiter Finanzspekulation. Er zeichnet sich auch
durch ein unzureichendes Begriffsinstrumentarium zur tiefergehenden Erfassung
der zugrunde liegenden ökonomischen und sozialen Umbrüche aus.
Zentrale
Begrifflichkeit und zugleich Namensgeber der Bewegung ist der Begriff Globalisierung. Dieser Begriff taugt
unserer Einschätzung nach aber nicht, um die gegenwärtigen weltweiten
Veränderungen kapitalistischer Vergesellschaftung zu begreifen. Denn wie soll
in der Rede von der „Verweltweitlichung“ (Übersetzung von Globalisierung) der
qualitative Umschwung und die jeweilige Dynamik politischer, ökonomischer und
ideologischer Elemente deutlich werden? Schon Marx bezog sich in seiner
Kapitalismusanalyse auf einen Weltmarkt. Der Begriff der Globalisierung
verkennt in seiner Allgemeinheit die kapitalistische Dynamik. Ohne die
Kolonisierung ganzer Kontinente und deren damit verbundener Ausplünderung wäre
die Entwicklung des Kapitalismus schwer vorstellbar. Die globale Ausbreitung
des Kapitalismus ist nicht eine kürzlich hinzugetretene besondere Gemeinheit,
sie steht an dessen Beginn. Dabei hat sich dessen Zugriff auf den Trikont
historisch in der Tat gewandelt. War das Kapital zunächst für die Entwicklung
der Kolonien bestimmend, ohne dessen lokale Gesellschaften vollständig
marktförmig zu organisieren, so durchdringt das Kapitalverhältnis diese schrittweise
immer mehr, ähnlich wie es in den kapitalistischen Zentren immer mehr Bereiche
der Gesellschaft gänzlich formt.
Der
nahezu ebenso häufige Begriff Neoliberalismus
greift insbesondere deshalb zu kurz, weil er eine Art Wechselbewegung zwischen
liberalen und (sozial) geregelten Wirtschaftsformen nahe legt, ähnlich dem
regelmäßigen Wechsel der Regierungsparteien. So richtig es ist, dass zur Zeit
auf liberale Wirtschaftskonzepte und -rhetorik zurückgegriffen wird, so falsch
ist es, dies als eine Verwilderung des Kapitalismus zu begreifen, den es
wahlweise wieder zu zügeln, oder als endgültig nicht reform- und
überlebensfähig anzusehen gilt. Genau diese Interpretation liegt jedoch nahe,
wenn der Begriff Neoliberalismus zur Kennzeichnung der gegenwärtigen Entwicklung
kapitalistischer Gesellschaften benutzt wird. Die klügeren Kritiker des
Neoliberalismus weisen zu Recht darauf hin, dass dieser so liberal nicht ist,
und die imperialistischen Zentren gegenüber der Peripherie – insbesondere bei
Agrarprodukten – durchaus eine protektionistische Haltung bewahren und der
eigenen Wirtschaft, beispielsweise durch Rüstungsaufträge, weiterhin
Subventionen zukommen lassen.
Begrifflichkeiten
wie neoliberale Restrukturierung weisen
darüber hinaus tendenziell in Richtung eines staatspolitischen bzw.
herrschaftsbezogenen Verständnisses der gegenwärtigen Entwicklung und kommen
über eine Beschreibung der Formen statt einer Analyse der materiellen Substanz
der Veränderungen nicht hinaus.
Wir
haben in unserem Buch Postfordistische
Guerrilla (Unrast Verlag Münster, 2. Aufl., 1999) vorgeschlagen, die
gegenwärtige Entwicklung als Umbruch vom Fordismus
zum Postfordismus zu analysieren.
Während die Phase des Fordismus, also der kapitalistischen
Vergesellschaftungsform der 1920er bis 1970er Jahre, insbesondere von einer
nationalstaatlichen Regulation und von einem internationalen Güteraustausch
geprägt war, so ist das bestimmende Moment der aktuellen postfordistischen
Phase die Internationalisierung von Produktionsprozessen und damit verbunden die
Bedeutungszunahme internationaler Finanztransaktionen und -spekulationen. Wer
diesen Prozess allein mit dem Schlagwort der Globalisierung fasst, läuft
Gefahr, die nationale Abschottung als Gegenmittel zu befördern und in
strukturell antisemitische Muster der Entgegensetzung von gutem bodenständigem
schaffenden Industriekapital und bösem wurzellosen Finanzkapital zu verfallen.[1]
Aus
unserer Sicht spricht – bei aller Kritik – einiges dafür,
regulationstheoretische Instrumentarien zur Analyse gegenwärtiger Vergesellschaftungsbedingungen
beizubehalten. Die Regulationstheorie wurde zwar als Instrument zur Analyse
fordistischer Gesellschaftsformationen in den Metropolen und in ihrem
reformistischen Flügel zur Politikberatung von Regierungen entwickelt. Eine linksradikale
Theorieperspektive eröffnet sich jedoch, weil alle Facetten der weltweiten
kapitalistischen De- und Re-Regulierung der Kritik unterzogen werden. Durch
eine Analyse der gegenwärtigen postfordistischen Dynamik wird auch deutlich,
dass die möglichen sozialen und politischen Handlungsperspektiven innerhalb des
kapitalistischen Systems sehr weitgehend vorgegeben sind, nicht dagegen, ob
oder in welcher Form agiert wird. Das Bild von zeitlich verschiedenen
hegemonialen Akkumulationsregimen, die räumlich in unterschiedlichem Maße
wirkungsmächtig sind, enthält auch die Vorstellung von Geschichte als einem
dynamischen Prozess, der zur Zukunft hin offen ist. Die Regulationstheorie besitzt
ausreichende Schärfe, um einen global hegemonialen Regulationstyp zu erkennen
und genügend Differenziertheit, um diesen ins Verhältnis zu den lokalen
Akkumulationsregimen zu setzen.
Regulation
bedeutet die Fähigkeit der notwendig krisenhaften kapitalistischen Ökonomie,
sich gegenüber den anderen Bereichen der Gesellschaft so durchzusetzen, dass
die Krise nicht zum völligen Zusammenbruch oder zur Revolution führt, sondern
zur Entwicklung optimaler Verwertungsbedingungen. Mit solch einem, in bester
polit-ökonomischer Tradition stehenden Begriff lässt sich eine historisch
spezifische Regulationsweise bestimmen. Diese kann nicht nur zu einer, primär
akademischen, Periodisierung der Entwicklung des Kapitalismus genutzt werden.
Wesentlich spannender ist die Möglichkeit, mit einem daraus abgeleiteten
Begriffsinstrumentarium den aktuellen Erscheinungsformen des Kapitalismus
kritisch zu Leibe zu rücken.
Die
viel zitierte Deregulierung von
Arbeitsverhältnissen und Märkten ist so gesehen auch eine Form der Regulation.
Der Begriff der Deregulierung legt eine rückwärts gewandte, nostalgische Verklärung
fordistischer Zeiten nahe. Was einstmals geregelt war, wird nun ent-regelt.
Soll dies gebändigt werden, so muss es erneut reguliert werden. Die
Deregulierung im Sinne der Regulationstheorie als eine neue Form der Regulation
zu begreifen legt hingegen offen, dass es sich dabei um ein ebensolches
Vermittlungsverhältnis zur Bewältigung von Verwertungskrisen und einer
Ausweitung des Kapitalverhältnis handelt wie einstmals das fordistische Modell.
So rücken nicht nur die katastrophalen Folgen der aktuellen Entwicklung für
Mensch und Natur ins Blickfeld, sondern auch die systemimmanenten und
-stabilisierenden Grenzen jedweder Bemühung, den Kapitalismus regulieren zu wollen.
Dass sich der Fordismus als
ehemals hegemonialer Regulationstyp aufgelöst hat, wird heute nicht mehr
ernsthaft bestritten. Das Attribut „post“fordistisch verweist zunächst nur
darauf, dass wir uns in einer „nach“fordistischen Zeit befinden. Der Begriff
des Postfordismus mag unbefriedigend sein, weil er den Kern neuer
Vermittlungsformen noch nicht zu fassen vermag. Er verdeutlicht jedoch, dass es
notwendig ist, danach zu suchen und macht deutlich, dass die neoliberale
Politik nur ein Teil eines umfassenden Umbruchs der kapitalistischen
Gesellschaftsverhältnisse ist.
Deshalb
ist es auch eher unerheblich, dass sich, wie häufig bemängelt, im
wissenschaftlichen Diskurs noch keine Einigung auf ein neues hegemoniales
Akkumulations- und Regulationsregime etabliert hat. Ansätze zur Beschreibung
globaler Akkumulations- und Regulationsmomente, wie in Saskia Sassens Global Cities Ansatz, wonach insbesondere
die internationalen Unternehmens- und Finanzdienstleistungen ein hochvernetztes
System bilden, sind vorhanden. Die wissenschaftliche oder linke Analyse kann
jedoch nicht weiter fortschreiten als sich ihr Gegenstand entwickelt hat. Klar
ist: Die Akkumulationsdynamik hat die fordistischen Akkumulations- und
Regulationstypen gesprengt. Zu diesen gibt es kein zurück. Ob und wie sich eine
neue regulative Hegemonie entwickeln wird, ist offen und umkämpft.
Politischen
und ideologischen Handlungsformen wird bei regulationstheoretischen Ansätzen
eine eigenständige Dynamik zugesprochen, die sich deutlich von herkömmlichen
mechanistischen Interpretationen des Basis-Überbau-Modells unterscheidet.
Grundsätzlich wird die Bedeutung politisch-ideologischer Regulationsformen von
der Regulationstheorie als so gehaltvoll angesehen, dass sie als wesentliche
Faktoren für die hegemoniale Verfestigung von Akkumulationstypen begriffen
werden. Bei regulationstheoretischen Ansätzen handelt es sich also nicht um
eine ökonomistische Ableitungstheorie.
Die
regulationstheoretischen Ansätze haben sich bisher meist mit den Ökonomien in
den kapitalistischen Zentren befasst. Wir halten es deshalb für notwendig, sie
mit Elementen einer kritischen Imperialismustheorie zu verbinden,
um die politisch-hierarchische Position der Länder der Peripherie und
Semiperipherie im Verhältnis zu den kapitalistischen Zentren zu erfassen.
Eine
Analyse imperialistischer Strukturen sollte insbesondere an den von Lenin und
Luxemburg aufgeworfenen Fragestellungen anknüpfen: Während sich Marx primär,
wenn auch nicht ausschließlich, mit den Mechanismen einer „reinen“
kapitalistischen Produktionsweise auseinander setzte, ging es in der
nachfolgenden Imperialismusanalyse von Rosa Luxemburg wesentlich darum, wie die
westlichen Kernstaaten sich die nichtkapitalistischen Ökonomien der Länder der
Peripherie unterwarfen, ob sie zu ihrer Expansion auf nichtkapitalistische
Produktionsformen angewiesen sind, ob die Krisentheorien von Marx ihre
Gültigkeit behielten und was von den daraus abgeleiteten Zusammenbruchstheorien
zu halten sei. In Lenins Imperialismustheorie wurde unter anderem die Frage
aufgeworfen, inwieweit Teile der ArbeiterInnenschaft der Industrieländer durch
die Teilhabe an Extraprofiten in das herrschende System eingebunden werden
können und welche Rolle das internationale Finanzkapital für die
kapitalistische Entwicklung spielt. Nach seiner Analyse übernahm das
Finanzkapital hinsichtlich der damals entstehenden Monopole und Kartelle die
Funktion einer planenden und steuernden Instanz. Insofern stellte es nach Lenin
eine mögliche Übergangsform zum Sozialismus dar, da ihm ein
vergesellschaftendes Element, wenn noch auf privatwirtschaftlicher Grundlage innewohnte.
Gleichzeitig führte die sich so verschärfende Konkurrenz um Ressourcen und
Absatzmärkte in den Ersten Weltkrieg.
Eine
"kritische" Imperialismustheorie meint in diesem Zusammenhang, die
politisch-theoretischen Fallstricke zu meiden, die insbesondere bei Lenins
Ansatz und seiner Rezeption angelegt sind. Die Analyse des Finanzkapitals bei
Lenin mündet zwar nicht in der Unterscheidung zwischen einem produktiven und
einem unproduktiven Moment. Gegebenenfalls lässt sich jedoch in der Art, wie
dem Finanzkapital eine Subjektrolle zugeschrieben wird, die Tendenz zu einer
Personalisierung der monopolkapitalistischen Herrschaftsverhältnisse
herauslesen. Auf Lenin beziehen sich vielfach auch antiimperialistische
Strömungen, die wie ehedem die Komintern zur Verteidigung der Sowjetunion und
um dem großrussischen Chauvinismus entgegen zu treten neben dem Proletariat
auch „unterdrückte Völker“ zu revolutionären Subjekten erklären.
Trotz
dieses ins völkisch wendbaren Ansatzes lässt sich vom leninschen Ansatz auch eine
nicht identitätspolitische Imperialismuskritik ableiten. Erfasst werden können
Prozesse der Internationalisierung der Produktion, Veränderungen der
Konkurrenzverhältnisse auf dem Weltmarkt, die Transformation der Funktion von
Nationalstaaten sowie die Ungleichheit der konkreten polit-ökonomischen Stellung.
Denn erst wenn die Kehrseite der Medaille zur Situation in den Metropolen, die
im Trikont, mit einbezogen wird, kann die Kritik des Kapitalismus als
weltweitem Verhältnis "radikal" (an die Wurzel gehend) werden.
Für
eine "kritische" Imperialismuskritik knüpfen wir auch an die
marxistischen Strömungen der in den 1960/70er Jahren zu Zeiten des Niedergangs
des Fordismus entwickelten Dependenztheorien an, welche die Imperialismustheorien
von Lenin und Luxemburg aus Sicht der abhängigen Länder der Peripherie fortentwickelte.
Im Rahmen der Dependenztheorie wurde das sogenannte Zentrum-Peripherie-Modell entwickelt. Dieses unterscheidet
grundsätzlich zwischen industriellen Zentren (Metropolen) und unterentwickelt gehaltenem Trikont (Semiperipherie und Peripherie). Kernpunkt
der Analyse ist der Besitz der Produktionsmittel und der Abfluss der Profite in
die Metropolen. DependenztheoretikerInnen gehen davon aus, dass die
Abhängigkeit und "Unterentwicklung" von Entwicklungsländern um so
höher sei, je mehr es in den kapitalistischen Weltmarkt integriert ist. Deshalb
wurden Entwicklungskonzepte propagiert, die auf den Aufbau einer eigenen
tragfähigen Industrie und die Förderung eines Binnenmarktes abzielten. Die marxistische
Kritik bezog sich nicht nur auf externe Abhängigkeiten, sondern auch auf
interne Veränderungen in den Entwicklungsländern durch die Umsetzung einer
solchen importsubstituierenden Politik, die sich überwiegend auf die kaufkraftstärkeren
Klassen im Land beziehen und auf Luxuskonsumgüter orientieren würde. Eine
solche Entwicklung würde aber zur Vernachlässigung der Landwirtschaft und somit
zu einer weiteren Verarmung der Ärmsten führen. Gerade diese Entwicklung ist in
der Phase des Fordismus eingetreten, in verschärfter Form seit den 1980er
Jahren. Die Dependenztheorie wurde auch über Lateinamerika hinaus zur Kritik
der Verhältnisse genutzt. Für die marxistische Strömung war und ist eine
wirkliche Veränderung nur im Weltmaßstab denkbar.
Das
in den Imperialismustheorien problematisierte Ausbleiben der weltweiten
Revolution und die reformistische Einbindung der ArbeiterInnenklasse in
Westeuropa und den USA bildeten auch eine wesentliche Fragestellung in der
Fortentwicklung der materialistischen Theoriebildung durch die
Regulationsschule. Im Gegensatz zu den teilweise deterministischen und
ökonomistischen Revolutionserwartung der VertreterInnen der 2. und 3.
Internationale und vor dem Hintergrund des fordistischen Klassenkompromisses
verwies die Regulationstheorie auf die regulativen Handlungsspielräume der
bürgerlichen Klasse in ökonomischen, politischen und ideologischen Fragen. Um
die Unterschiede einzelner Regionen in ihrer politökonomischen Stellung
deutlich zu machen, halten wir trotz seiner Problematik am Imperialismusbegriff
fest und sprechen von Imperialismus vor dem Hintergrund einer postfordistischen
Akkumulations- und Regulationsweise.
In Postfordistische Guerrilla haben wir deshalb die regulationstheoretischen
Ansätze auch auf Länder der Peripherie und dortige nationale
Befreiungsbewegungen übertragen. Darin kamen wir zu dem Schluss, dass sich der
Handlungsspielraum für Bewegungen in der Peripherie drastisch verschlechtert
hat und die national-ökonomische Befreiung eines Staates der Peripherie nur
noch ein Trugbild ist.
Da
es sich bei der Regulationsweise um ein spezifisches Vermittlungsverhältnis
zwischen kapitalistischer Ökonomie und den in der Gesellschaft anzutreffenden
ideologischen und politischen Formen und Institutionalisierungen handelt, ist
bei der Übertragung dieses für die Analyse der Zentren entwickelten Modells auf
die Peripherie Vorsicht angezeigt. Gerade in den ersten Perioden der kapitalistischen
Ausbreitung waren die Gesellschaften des Trikont vom Kapitalverhältnis zwar in
ihrer generellen Entwicklung bestimmt, indem sie insbesondere in der
Rohstoffproduktion auf den Weltmarkt ausgerichtet wurden. In ihren
gesellschaftlichen Organisationsformen und in weiten Teilen der – der lokalen
Versorgung dienenden – Landwirtschaft war der Trikont jedoch noch nicht vom
Kapitalverhältnis durchdrungen. Die weitergehende Durchdringung peripherer
Gesellschaften mit dem Kapitalverhältnis, zumindest in wesentlichen Bereichen,
ist eines der kennzeichnenden Merkmale der gegenwärtigen Phase kapitalistischer
Akkumulation.
Bezeichnenderweise
reicht auch dort, wo der kapitalistische Markt zeitweilig zusammenbricht, die
gesellschaftliche Phantasie kaum über diesen hinaus. Auf den als „Gegenmodell
von unten“ gepriesenen Tauschmärkten in
Argentinien wird von der Kartoffel bis zur Psychotherapie alles als Ware getauscht
und in selbstgedruckten Gutscheinen verrechnet. Diese tendenzielle Angleichung
in der Durchdringung der Gesellschaft durch das Kapitalverhältnis darf
allerdings keinesfalls mit einer Angleichung der Lebensbedingungen oder gar der
Aufhebung des postkolonialen Verhältnisse verwechselt werden.
Trotz
der von einigen Autoren vorgetragenen Vorbehalte sprechen wir auch in bezug auf
die Semi-Peripherie und Teile der Peripherie von einer fordistischen Phase und
postfordistischen Umbrüchen. Gerade in den sogenannten Schwellenländern der
Semi-Peripherie wurde nicht nur deren Außenwirtschaft vom Bedarf der
fordistischen Zentren bestimmt, sondern deren innere Verfasstheit teilweise
nach dem selben Modell entwickelt, wenn auch in Formen, die den geringeren
ökonomischen Möglichkeiten entsprechend angepasst waren. Am Beispiel Mexikos
und Algeriens haben wir dies an anderer Stelle bereits aufgezeigt[2].
Die Maquila Industrie an Mexikos Grenze zur USA ab 1960 und Chiles
Wirtschaftspolitik unter der Militärdiktatur Pinochets ab 1973 waren frühe
Experimentierfelder für nach-fordistische Akkumulationsregime in Lateinamerika.
Seitdem
in Ländern des Trikontes die Arbeitskraft in Teilen der Ökonomie zur Ware
geworden ist und der diesem zugrundeliegende Produktionsprozess in den
Weltmarkt integriert wurde, kann dort von kapitalistischen
Akkumulationsstrukturen gesprochen werden. Diese werden zu einem
Akkumulationsregime, wenn spezifische, relativ beständige Regulationsformen
hinzutreten, welche die der Kapitalverwertung inhärenten Krisentendenzen
abpuffern und transformieren. In einem kolonialen oder postkolonialen Kontext
kann es sich bei diesen Regulationselementen um die Herausbildung einer
Kompradorenbourgeoisie handeln, die zwischen den imperialistischen Zentren und
dem dortigen Proletariat vermittelt oder die gewaltsame Absicherung von
zugespitzten Ausbeutungsbedingungen durch regionale Militärdiktaturen, welche
wiederum aus den Metropolen gestützt werden.
Bei
den weiter unten beispielhaft beschriebenen fordistischen Regimen im Trikont
handelt es sich um den Metropolen hierarchisch nachgelagerte
Produktionsstandorte, ihre Akkumulationsregime und Regulationsweise sind –
gemessen an der Entwicklung der Metropolen – nicht voll ausgebildet, daher
bezeichnen wir sie als semifordistisch. Diese Akkumulationsregime entstanden
nicht auf Grundlage einer eigenen selbsttragenden Verwertungsdynamik oder
entsprechenden Krisen nach dem ersten Weltkrieg, wie dies in den Metropolen der
Fall war, sondern wurden wie beispielsweise in Südkorea von den USA initiiert,
um ein Gegengewicht zu den staatssozialistischen Nachbarstaaten zu bilden und
um die produktive Basis des Weltmarktes zu erweitern.
In
den Metropolen lag ein entscheidendes Moment in der Durchsetzung des Fordismus
darin, die Reproduktion der großen Mehrheit der ArbeiterInnenklasse zum
Beispiel durch Konsumgüter innerhalb der kapitalistischen Produktion zu
gewährleisten und sie als Bürger unter anderem über Wahlen in die Institutionen
des Staatsapparates einzubinden.
Unter
den Bedingungen der (Semi-)peripherie gelang die Einbindung der
ArbeiterInnenklasse nur teilweise. Die sozialstaatliche Komponente blieb
beispielsweise in Mexiko und Algerien bruchstückhaft und im wesentlichen auf
die außenwirtschaftlich tätigen Belegschaften und die Staatsangestellten beschränkt.
Für die Anbindung der ArbeiterInnen und KleinbäuerInnen an den Staat blieben
personale Beziehungen der Patronage durch Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre
von großer Bedeutung. Unter den Militärdiktaturen Südkoreas und Taiwans fehlte
wiederum innerhalb der Arbeitsbeziehungen und der gewerkschaftlichen
Organisation nahezu jedes Moment an organisatorischer Freiheit.
Die
Reproduktion der subproletarischen Stadt- und der überwiegenden Mehrheit der
Landbevölkerung blieb zu weiten Teilen außerhalb der kapitalistischen
Produktion und wurde wie zum Beispiel in Mexiko mit einer halbherzigen
Landreform gesichert. Eine gesamtgesellschaftliche Reproduktion durch die
kapitalistische Produktionsweise fand in diesen Gesellschaften im Gegensatz zu
den Ländern der Metropole nicht statt, weswegen nur bedingt von einem
fordistischen Klassenkompromiss gesprochen werden kann. Der Umfang und das
Gewicht der fordistischen Produktionsbereiche gestaltete sich in den Ländern
des Trikonts sehr unterschiedlich. Wie heute für den Postfordismus insgesamt,
traten schon damals unterschiedliche Produktionsformen wie Subsistenzökonomien,
einfache Warenproduktion und kapitalistische Industrien oder Rohstoffgewinnung
je spezifisch verbunden nebeneinander auf.
Kennzeichnend für die Integration von Staaten der Peripherie in den
Weltmarkt war seit Entstehung des Kapitalismus, dass dies auf wenige Rohstoffe
oder Industriebereiche beschränkt blieb. Auf den Weltmarkt ausgerichtete
Wirtschaftsbereiche standen so neben lokalen, dass sich nur in Ausnahmen
halbwegs unabhängige, selbsttragende Nationalökonomien herausbilden konnten. Deshalb
waren im Trikont auch in fordistischen Zeiten disparate Nationalstaaten die
Regel, welche entsprechend stärker von den Metropolen abhängig waren.
In
den Ländern der Peripherie, in welchen sich ansatzweise fordistische
Akkumulations- und Regulationsformen herausgebildeten haben, schien mit Blick
auf die Staaten der Metropolen eine nachholende Entwicklung möglich. Nach dem
Aufbau von Grundstoffindustrien (Stahl, Elektrizität etc.) und der
Effizienzsteigerung der Landwirtschaft folgte der Ausbau von exportorientierten
Leichtindustrien (Kleidung, Konsumartikel, einfachere technische Geräte), um so
insgesamt zu einer selbsttragenden Nationalökonomie zu kommen. Unter diesen
Bedingungen konnten die Interessen von Teilen der Arbeitenden und der lokalen
Bourgeoisie in einem antikolonialen Projekt verbunden werden, welches den
Klassenkampf im Interesse des nationalen Aufbaus zurückstellte und im Gegenzug
mit sozialstaatlichen Elementen lockte.
Als
der Fordismus jedoch in den achtziger und neunziger Jahren auch durch die
Konkurrenz der Exportindustrien der (Semi-) Peripherie in die Krise geriet, war
es vorbei mit dem Traum, zu einer selbsttragenden wirtschaftlichen Entwicklung
im Rahmen eines Nationalstaates zu kommen. Nur in einigen Ländern fand eine
Transformation zu hochproduktiven postfordistischen Wirtschaftseinheiten statt.
Die wirtschaftliche Konkurrenz ist nun so allgemein umfassend, dass nur noch
eine flexible Spezialisierung auf ausgesuchte Produktionszweige oder
Dienstleistungen Erfolg verspricht und wirtschaftliches Wachstum in Ländern
ohne größeren Binnenmarkt nur noch unmittelbar in Bezug auf den Weltmarkt
generiert werden kann. Spätestens damit ist dem nationalen Klassenbündnis der
Boden entzogen.
In
Ländern der Peripherie sind ähnliche soziale Umbrüche feststellbar wie in den Metropolenländern.
Es wird immer schwieriger, die relativ geringe Anzahl von
Normalarbeitsverhältnissen zu verteidigen, ansonsten werden deregulierte
Arbeitsverhältnisse durchgesetzt.
Kernländer, Semiperipherie und Peripherie unterscheiden sich in diesem Prozess
maßgeblich dadurch, in welchem Umfang die Bevölkerung von der Deregulierung
betroffen ist.
Für
Joachim Hirsch, den bekanntesten Vertreter der deutschsprachigen
Regulationstheorie, hat der „neue Schub der kapitalistischen Globalisierung zu
sozial-räumlichen Differenzierungsprozessen geführt, die eine klare
Unterscheidung von Zentrum und Peripherie immer schwieriger machen. In Teilen
der Peripherie entstehen weltmarktintegrierte Wachstumspole und zugleich nehmen
innerhalb der Zentren sozial-räumliche Ungleichheiten zu. Auch dort breiten
sich teilweise ‚Drittwelt’-Lebensbedingungen aus.“[3]
Dass dieser Prozess tatsächlich die Grenzen zwischen Zentren und Peripherie
verwischt, ist nicht abzusehen. Es werden aber in einem bisher durch die
imperialistische Dependenz geprägten sozial-räumlichen Regime auf Grundlage
einer zunehmenden Internationalisierung der Produktion die Grenzen zwischen
Zentren, Semiperipherie und Peripherie neu abgesteckt.
Von
postfordistischen Akkumulationsformen in den Ländern des Trikonts kann heute
dort gesprochen werden, wo Industrien oder Dienstleistungen existieren, die
konkurrenzfähig und unmittelbar in den Weltmarkt bzw. in die globalen
Produktionsketten integriert sind. Zuvor wurde vielfach versucht, einen
nationalökonomischen Kreislauf aufzubauen. Heute kann es sich weiterhin um
Produkte der Leichtindustrie handeln, aber auch um hochwertige Computer oder
Softwareprodukte oder um nachgeordnete Finanzdienstleistungen.
Die
Ansätze postfordistischer Regulationsregime im Trikont sind dabei so
uneinheitlich und rudimentär ausgebildet wie in den Metropolen. In Enklaven der
Finanzindustrie wie Singapur, Hong Kong oder den Bermudas herrschen neoliberale
Regime vor, um den zeitlich und räumlich ungehinderten Kapitalfluss zu
ermöglichen. Staaten der Peripherie, die auch hinsichtlich der materiellen Produktion
teilweise eine hochproduktive postfordistische Eingliederung geschafft haben,
zeichnen sich dagegen überwiegend dadurch aus, dass sie sich nicht gänzlich
einem neo-liberalen Regime der Grenzöffnung und Privatisierung wie
beispielsweise Argentinien unterworfen haben, sondern ihren weltmarktfähigen
Industrien soviel staatliche Unterstützung gegeben haben, dass sie sich
überhaupt erst auf dem Weltmarkt etablieren konnten und ihnen in allgemeinen
Verwertungskrisen Unterstützung gewähren, um überleben zu können. Die
jeweiligen nationalen Entwicklungspfade in der Peripherie unterscheiden sich
dadurch, inwieweit die nichtkapitalistischen Sektoren der Ökonomie,
insbesondere die landwirtschaftliche Subsistenzproduktion und die
patriarchal-familiären Reproduktionsformen mit den kapitalistischen
Produktionssektoren verbunden sind und welche vorkapitalistischen
Regulationsformen, beispielsweise halbfeudale Agrarverhältnisse in Brasilien
oder Indien, trotz der Vermarktungsausrichtung auf den Weltmarkt weiterexistieren.
Bei Ländern des Trikonts
ist eine Unterscheidung in solche Länder sinnvoll, die in der Vergangenheit
ansatzweise fordistische Vergesellschaftungsformen besaßen und jene, die erst
jetzt eine auf den kapitalistischen Weltmarkt bezogene Politik betreiben, weil
sie vor 1991 im Gegenweltmarkt des RgW rund um die Sowjetunion integriert waren
oder als sogenannte blockfreie Staaten von dieser weltweiten Kräftedynamik
profitierten.
Die
sogenannten südostasiatischen Tigerstaaten Südkorea, Taiwan, Singapur und
Hongkong können schon überwiegend nicht mehr zu den peripheren Staaten
gerechnet werden. Ihre nichtkapitalistischen Produktionszweige besitzen quantitativ
und qualitativ nur noch eine untergeordnete Stellung. Ihre Entwicklung lief
gemessen an kapitalistischen Maßstäben so erfolgreich, dass sie von der Krise
des Fordismus insoweit profitieren konnten, als dass sie die Weltmarktposition
ihrer jeweiligen führenden Industrien oder Dienstleistungen ausbauen konnten.
In der Halbleiterindustrie ist Südkorea vom Weltmarkt nicht mehr wegzudenken.
Hongkong ist nach Japan der zentrale Ort für Finanzdienstleistungen in
Ostasien. Mit dem weiteren wirtschaftlichen Aufstieg Chinas wird Hongkongs Bedeutung
noch zunehmen. Dabei kommt den Tigerstaaten die teilweise schon in den
fünfziger Jahren von den USA erzwungene und ermöglichte Exportorientierung bzw.
die Öffnung ihrer Ökonomien für Kapitalim- und exporte zugute. In Taiwan folgte
beispielsweise auf eine frühe Phase der Importsubstitution und staatlichen
Planung in den sechziger Jahren eine exportorientierte Entwicklungsstrategie,
die in den siebziger Jahren durch eine kapitalintensive staatliche
Industriepolitik und erste direkte Auslandsinvestitionen fortentwickelt wurde.
In den achtziger und neunziger Jahren wurde die Aufwertung und Diversifikation
der Produktion beschleunigt und die Liberalisierung endgültig zu bestimmenden
Strukturmerkmal. Während des Fordismus ließ sich so bis in die achtziger Jahre
eine hochproduktive Grundlage schaffen, die auch in den gegenwärtigen Umbrüchen
trotz des Umbaus bzw. der Auflösung ganzer Industriekonglomerate - weg von
einer halbstaatlichen Steuerung hin zu einer flexiblen Weltmarktorientierung -
erhalten blieb. Die Entwicklung der “fünf Tiger” zeigt, dass ein Aufschließen
von der Peripherie zur Semi-Peripherie bzw. zu einem Metropolenstaat
insbesondere mit der politischen Billigung und der ökonomischen Unterstützung
der kapitalistischen Zentren sowie einer proaktiven nationalstaatlichen Politik
möglich war und ggf. auch weiterhin ist, jedoch nicht frei von Instabilität
ist. In Lateinamerika sind Mexiko und Brasilien die stärksten Ökonomien.
Deutlich erkennbar ist in Mexiko der Entwicklungsgang einer verstaatlichten
Befreiungsbewegung aus der auch die viele Jahrzehnte herrschende Staatspartei
PRI hervorging. So beschritt Mexiko den Weg von einer Politik der nationalen
importsubstituierenden Industrialisierung, die im wesentlichen aus Erdölexporten
finanziert wurde, zu dessen Endzeit parallel die Förderung postfordistischer
Weltmarktfabriken forciert wurde, für welche die Maquiladoras im Norden und
neuerdings auch im Süden des Landes stehen. Mexiko und Brasilien verfügen neben
einem Weltmarktsektor für überwiegend einfachere Konsumgüter auch über eine auf
ihre relativ großen Binnenmärkte ausgerichteten Konsumgüterindustrien (Pkw,
Kleidung, Nahrungsmittelveredelung). Im Gegensatz zu den asiatischen
Tigerstaaten Taiwan und Süd-Korea wurden jedoch in Brasilien und Argentinien
die Anläufe für eine Agrarreform nicht konsequent umgesetzt. Deswegen ist dort
das Gefälle zwischen Arm und Reich insgesamt und die Landflucht wesentlich
höher und der modernisierungsfeindliche bzw. gesamtgesellschaftlich reaktionäre
Einfluss der Landoligarchie ungebrochen.
Die
arabischen Ölstaaten stellen eine gesonderte Kategorie dar. Aus ihnen fließt
ein zentraler Rohstoff der kapitalistischen Produktion – und der einzige, bei
dem die Rohstoffexportierenden Länder gegenüber den Metropolen durch das
OPEC-Kartell beim Preis mitreden können. Trotz ihrer strukturell untergeordneten
Stellung gegenüber den Metropolen ermöglichen die Profite aus dem Ölexport so
die Entwicklung einer sozial reaktionären Rentierwirtschaft mit welcher sich
die einheimische Bevölkerung bisher überwiegend ruhig stellen lässt. Die
Reproduktionsaufgaben und die Arbeiten zur Ölförderung werden dagegen vielfach
von ArbeitsmigrantInen erledigt. Die ab
1973 von den OPEC-Staaten durchgesetzten Ölpreissteigerungen trugen nicht
unwesentlich zum Niedergang des fordistischen Produktivitätsregimes bei. Die
daraufhin von den Ölstaaten an den Aktienmärkten der Metropolen angelegten
Gelder gaben der Entwicklung hin zum postfordistischen Finanzhandel einen
wesentlichen Schub. In den nichtarabischen Ölstaaten wie Mexiko, Algerien oder
Venezuela wurde versucht, auf Grundlage der Ölindustrie eine eigenständige
Industrialisierung und Binnenwirtschaft aufzubauen. Kennzeichnend für die Krise
des Fordismus war in diesen Ländern, dass diese von Technologie und Krediten
der Metropolen abhängige Entwicklung kollabierte. Da die arabischen Ölstaaten
wenig eigenen Industrien und hochwertigen Dienstleistungen entwickelt haben ist
fraglich, ob sie nach Erschöpfung der Ölquellen allein von den Dividenden der
Anlagegelder leben können. Wahrscheinlich werden sie dann erheblich an
weltwirtschaftlichen Einfluss verlieren.
Algerien,
wie viele der vorgenannten Länder ein erdölexportierender Staat, richtete seinen
Entwicklungsweg in der sechziger Jahren am Modell der Sowjetunion aus,
einschließlich der Vergesellschaftung in einem rudimentären Sozialstaat. Der
Aufbau einer konkurrenzfähigen und profitablen Grundstoff- und
Konsumgüterindustrie scheiterte an der technologischen Abhängigkeit von Frankreich
und mit dem Zusammenbruch des RgW. Die Auflagen der daraufhin aufgenommenen
IWF-Kredite mündeten Anfang der neunziger Jahre in Hungerrevolten. Da das
Regime zu diesem Zeitpunkt auch ideologisch nicht mehr als ein arabisch-sozialistisches
überzeugen konnte zerfiel es politisch-kulturell und sozial in einem blutigen
Bürgerkrieg.
Länder
wie Argentinien und Uruguay entwickelten schon in der ersten Hälfte des letzten
Jahrhunderts sozialstaatlich-korporatistische Strukturen. Ihr relativer
Wohlstand basierte im wesentlichen auf Agrar- und Rohstoffexporten. Die im
Rahmen des Versuchs einer eigenständigen Entwicklung einer
importsubstituierenden Industrialisierung auch vorhandene Industrie produzierte
im wesentlichen für den Eigenverbrauch. Während die Preise für Agrarprodukte in
den letzten Jahrzehnten jedoch sanken und die Metropolenländer ihre Agrarmärkte
abschotten, sahen sich diese Länder gezwungen ihre Märkte vollständig zu
öffnen, um westliches Kapital ins Land zu holen und ihre relativ kleinen Industrien
einem angeblich gesunden Wettbewerb auszusetzen. Die während der Diktaturen
angehäuften Kredite gaben dem IWF und der Weltbank darüber hinaus die
Möglichkeit die Privatisierung der Infrastruktur zu verlangen. Fast 30 Jahre
nach der in Chile gewaltsam erzwungenen Liberalisierung scheint in Südamerika
insgesamt keine andere politökonomische Perspektive vorstellbar.
Ehemals
realsozialistische Staaten der Peripherie wie China, Angola, Mozambique,
Vietnam, Nordkorea oder Kuba gehen recht unterschiedliche Wege. China
beschreitet nunmehr seit zwanzig Jahren den Wege einer relativ erfolgreichen
Entwicklungsdiktatur. Die exportorientierten Wirtschaftszweige weisen enorme
Wachstumsraten auf und sind bisher noch in der Lage den Niedergang der kollektivierten
Landwirtschaft und der Schwerindustrie aus der vorangegangenen auf die
Binnenökonomie ausgerichteten Entwicklungsphase zu kompensieren. Ein
expandierendes kapitalistisches Wirtschaftssystem verlangt über kurz oder lang
danach, dass die Bourgeoisie auch in eigener Person die Staatsgeschäfte lenken
kann. Denn wer sollte besser als sie selbst ihre zunehmende ökonomische
Herrschaft vermitteln. Die Aufnahme von Kapitalisten in die kommunistische
Partei Chinas ist ein deutliches Zeichen, dass auch gesellschaftspolitisch ein
Umschwung einsetzt.
Vietnam
hat sich seit zehn Jahren auf einen ähnlichen marktwirtschaftlichen
Entwicklungsweg wie China begeben. Da es über wesentlich weniger staatliche
Macht und materielle Ressourcen verfügt, muss es eine noch viel radikalere
Politik des Abbaus sozialer Sicherheiten und der Öffnung an internationale
Finanziers und Unternehmen betreiben. Die Republik Kuba wiederum hat sich nach
dem Ende des RgW gezwungen gesehen, den Dollar als Parallelwährung zuzulassen
und sich dem westlichen Tourismus zu öffnen. Den KubanerInnen gelang es, bei
einigen Medizin- und Softwareprodukten Nischenmärkte, insbesondere in anderen
Ländern des Trikont, zu besetzen. Was Kuba in diesen Bereichen vor allem
aufgrund seines hohen Bildungsstandards schafft, bleibt zahlreichen anderen
trikontinentalen Ländern mit noch schlechteren Voraussetzungen verwehrt. Im
Gegensatz zu Vietnam und China öffnet sich das Land jedoch nicht bedingungslos
westlichen Investoren. Durch die US-Blockade sind der Öffnung zum Weltmarkt
allerdings enge Grenzen gesetzt. Aufgrund der feindlichen Politik der USA würde
das politische System auf Kuba dies auch nicht überleben. Jede Lockerung der
staatlichen Kontrolle über die Wirtschaft würde von den USA genutzt werden, um
dass staatssozialistische System mehr oder weniger gewaltsam aufzubrechen.
Die
häufig vorgetragene Argumentation, dass die Auflösung der Sowjetunion
entscheidender für Kuba wie für die weltweite Entwicklung sei als die
postfordistische Umstrukturierung, verkennt das zugrunde liegende dialektische
Verhältnis. Der Zusammenbruch der Sowjetunion ist Teil des postfordistischen
Umbaus und nicht dessen Auslöser. Nach unserer Einschätzung ist die Ökonomie
der Sowjetunion – neben Wettrüsten, Kalter Kriegsführung und einer
„containment“-Politik des Westens – vor allem deshalb zusammen gebrochen, weil
sich der neue postfordistische Produktivitätstyp, der auf eine flexible
weltweite Integration setzt, planwirtschaftlich nicht nachbilden bzw. entfalten
ließ. Aus diesem Grund wurde in der Endphase der Sowjetunion wiederholt und
erfolglos mit marktwirtschaftlichen Elementen experimentiert. Andererseits
beschleunigte und verstärkte der Zusammenbruch der Sowjetunion – auch durch das
Wegbrechen eines „Gegenweltmarkts“ – die postfordistische Umstrukturierung vor
allem in den Ländern des ehemaligen RgW, aber auch in den kapitalistischen
Metropolen.
In
Russland ging die Implosion der sowjetischen Staatswirtschaft mit einer
unkontrollierten privatkapitalistischen
Bereicherung und der Ausdehnung von mafiosen Gruppen einher. Trotzdem
Russland im Rüstungssektor noch auf weltmarktfähige Hochtechnologie verweisen
kann, ist seine Wirtschaft im wesentlichen auf den Erdöl- und Gasexport
reduziert worden. Da sich in diesem ökonomischen Umfeld bisher eine breitere
Mittelklasse nicht entwickeln kann, bietet die vorherrschende autoritäre
Vergesellschaftungsformen eine naheliegende Lösung.
Asiatische
Staaten wie Indonesien, Malaysia, die Philippinen oder Indien können nicht auf
eine fordistische Entwicklung zurückblicken, die wesentlichen Teile der
Gesellschaft erfassten. Ihre Ökonomien waren und sind im überwiegend agrarisch
strukturiert. Sie schaffen es jedoch
trotzdem in einzelnen Bereichen hochproduktive postfordistische Wachstumsinseln
aufzubauen, beispielsweise im Bereich der Softwareproduktion, der
Unterhaltungsindustrie, bei einzelnen Konsumgütersparten oder im Tourismus. Ob
daraus jedoch ein die ganzen Länder, insbesondere auch die Agrarregionen umfassender kapitalistischer Take off
werden kann, ist fraglich. Die Asienkrise von 1997/98 hat gezeigt, dass die
politischen Systeme von Malaysia und Indonesien höchst instabil sind. Auch die
Gesellschaften in Indien und den Philippinen sind vor allem von einer
nichtintegrierten, disparaten Ökonomie und Regulation gekennzeichnet, deren
Folge ethnisierte und religiös aufgeladene Verwerfungen sind. Eine
konzentrierte Politik und Entwicklung einer Binnenökonomie hinsichtlich des
gesamten Staatsgebiets sind heute noch
unwahrscheinlicher als zu fordistischen Zeiten.
Eine
weitere Kategorie von Staaten ist wie vor dreißig Jahren im wesentlichen nur
über die Gewinnung von Rohstoffen oder den Export von Agrarprodukten in den
Weltmarkt integriert. Die von den imperialistischen Staaten unterstützten
jüngeren Bürgerkriege in Nigeria und in der Demokratischen Republik Kongo
verdeutlichen, dass der westliche Drang zur Kontrolle von strategischen Rohstoffen
wie Öl oder seltenen Metallen wie dem für die Handyproduktion notwendigen
Coltan aus dem Kongo nicht nur zur Verwüstung ganzer Landstriche führen kann,
sondern dass mit der weltmarktorientierten Raubökonomie häufig die Einsetzung
korrupter und autoritärer Regime die Folge ist. Ein Land wie Tansania
exportiert wie seit hundert Jahren Kaffee und erhält von Jahrzehnt zu Jahrzehnt
einen geringen Gegenwert auf dem Weltmarkt. Solche Länder sind zwar nicht von
Weltmarkt ausgeschlossen, sie haben jedoch an der gewinnbringenden Seite der
postfordistischen Dynamik genauso wenig teil wie zuvor an der fordistischen.
Teile
Afrikas und Asiens sind so in keiner Form in die weltweite Industrieproduktion
einbezogen, welche den Postfordismus prägt.. Da der Markt für tropische
Agrarprodukte gesättigt ist, bleiben nur wenig Absatzchancen ohne dass ein
Minimum an Bildung, Infrastruktur, öffentlicher Sicherheit und regionaler
Absatzmärkte vorhanden ist, rentiert sich für Kapitalisten auch die Errichtung
von Weltmarktfabriken nicht. So bleiben nur die fortgesetzte Subsistenzökonomie
und überwiegend regionale bzw. tradierte Herrschaftsformen.
Aus
diesem kursorischen Blick auf die verschiedenen Akkumulationsregime und
Regulationsformen in den Ländern der Peripherie werden große Unterschiede
deutlich. Von einer einheitlichen dritten Welt kann heute noch weniger
gesprochen werden als zu Zeiten des Fordismus. Die asiatischen Tigerstaaten
gehören zur dritten Welt, ebenso wie ihre verarmten Nachbarstaaten. Im Zuge des
weltweiten Produktivitätsfortschrittes hat sich der Abstand der von der
weltweiten Industrieproduktion abgekoppelten Regionen der Welt zu den
hochproduktiven postfordistischen Wachstumsinseln vergrößert. Alle Staaten und
Regionen mit postfordistischen Wachstumssegmenten zeichnen sich jedoch durch
eine spezifische Kombination unterschiedlicher Regulationsmodi aus, je nachdem
wie beispielsweise Weltmarktfabriken mit den lokalen agrarischen Regimen im
Austausch stehen. Diese jeweils besonderen regionalen oder nationalen
Regulationsverknüpfungen stellen den materiellen Hintergrund für die
Handlungsmöglichkeiten von sozialen Bewegungen dar.
Die überwiegende Anzahl der
Länder der Peripherie besitzt heute weltmarktorientierte Wirtschaftsbereiche,
die voll in die internationalen Produktionsketten integriert und von den
Bewegungen des internationalen Finanzkapitals beeinflusst sind. Gemessen am
Bruttoinlandsprodukt dieser Länder mögen deren weltmarktintegrierte Sektoren
(sei es auch nur in der Rohstoffgewinnung) im Verhältnis zur Subsistenzökonomie
nur einen kleineren Anteil ausmachen. Die Handlungsmöglichkeiten widerständiger
sozialer Bewegungen sind jedoch entscheidend von dem weltweit integrierten (je
nach Land agrarischen oder industriellen) Produktivitätstypus abhängig, da
diese die dynamischsten und am weitesten vernetzten Teile der
gesellschaftlichen Struktur ausmachen.
Nicht
nur die Staaten der Zentren, auch die revolutionäre Opposition in der
Peripherie orientierte sich in der Vergangenheit überwiegend am fordistischen
Entwicklungsmodell. Die entsprechenden Konzepte zur nationalen Befreiung können
als ein Ausdruck und Teil dieser Orientierung begriffen werden. In der Analyse
dieser Bewegungen und ihrer Krise zeigt sich der Wert des
regulationstheoretischen Ansatzes. Mit den Begriffen Neoliberalismus und
Globalisierung lässt sich zwar die Verschärfung des Angriffs auf die
Lebensbedingungen der Bevölkerungsbasis der Bewegungen fassen, nicht aber der
Verlust des relativen Spielraums, den eine nationalstaatliche Befreiung unter
fordistischen Vorzeichen noch versprach. Der Sinneswandel vieler Bewegungen,
verschärft auf einen nationalistischen bis volksbezogenen Diskurs zu setzen und
zuweilen den Freihandelsstatus eines kolonialen Überseedepartements der
Verstaatlichung der Produktionsmittel vorzuziehen, lässt sich zwar mit
ethischen Prinzipien kritisieren und als das bürgerliche Coming-out nach dem
Zusammenbruch des RGW bewerten, erst mit der Regulationstheorie aber lässt sich
die darin liegende polit-ökonomische Rationalität freilegen und kritisieren.
Auch
dort, wo heute emanzipatorische Antworten auf die neuen Verhältnisse gesucht
werden, wie im Süden Mexikos, ist die Regulationstheorie nützlich, selbst wenn
die Zapatistas mit Vorliebe von Neoliberalismus und Globalisierung reden. Ihr
Widerstand speist sich aus der langen
Erfahrung mit den zweifelhaften Freuden des Kapitalismus in der Peripherie und
der relativ neuen Konfrontation mit der unmittelbaren Durchdringung der lokalen
Gesellschaften durch das Kapitalverhältnis. Kapitalistische Begehrlichkeiten,
sich die Lebensweise und das Wissen der indigenen Bevölkerung im Rahmen der
Erschließung des ökologischen und touristischen Potentials der Region
einzuverleiben, und die Arbeitskraft in der weltmarktorientierten Produktion
(Maquila) auszubeuten, erfordert eine doppelte „Befreiung“. Und zwar von den
traditionellen Produktionsmitteln (dem kommunalen Land, ejido) und den Zwängen
der lokalen Gemeinschaften (indigenisierte Tradierung und Selbstverwaltung). In
fordistischen Zeiten wurde, wie oben erläutert, die Ausbeutung und Integration
der mexikanischen Bevölkerung in den kapitalistischen Weltmarkt noch über die
(ebenfalls kapitalistische) Nationalökonomie vermittelt. In Ermangelung
entsprechender Ressourcen und politisch notwendiger Kompromisse, wie sie aus
der mexikanischen Revolution folgten, konnte jedoch nicht die gesamte
Gesellschaft durchkapitalisiert werden. Auch bot die Subsistenzwirtschaft der
indigenisierten KleinbäuerInnen die Reproduktionsbasis, auf welcher deren
Arbeitskraft zu minimalen Löhnen ausgebeutet und angeeignet werden konnte.
Das
aus der Perspektive der kolonial, neo-kolonial oder post-kolonial Ausgebeuteten
hervorgehende „praktische Wissen“ um die aktuelle Verschärfung der Ausbeutung
und die Komplizenschaft und Machtlosigkeit der nationalen Regierungen diesem
Umbruchsprozess gegenüber, hat, neben dem Wegfall der Alternative RGW, auf das
grundlegende Misstrauen der Zapatistas gegen eine auf politische Institutionen
ausgerichtete Machtpolitik vermutlich weitaus mehr Auswirkung, als eine exakte
Analyse der kapitalistischen Regulationsweise. So mag die unscharfe
Begriffsbildung in der unmittelbaren Auseinandersetzung unter Umständen vor Ort
von geringerer Bedeutung sein, und die taktischen Vorteile der
Anschlussfähigkeit an die Diskurse der städtischen Linken Mexikos und an andere
Diskurse beim Reden über Globalisierung, Neoliberalismus und die Zerstörung des
lokalen Kleinkapitals durch transnationales Finanzkapital überwiegen.
Sobald
dieses „praktische Wissen“ jedoch in die revolutionäre Theoriebildung Eingang
findet, wird die verkürzte Analyse zum Problem, nicht nur für die Zapatistas
und Mexiko. Die Verklärung der fordistischen nationalstaatlichen Regulierung
und der Ruf nach einer globalen „Regulierung“ des „deregulierten“ Kapitals
liegt dann nahe. So besteht die Gefahr einer langfristigen strategischen
Positionierung, die mit den falschen Bündnispartnern in einem reformistischen,
die kapitalistischen Verhältnisse affirmierenden Projekt endet. Was in der
konkreten Auseinandersetzung noch ein widersprüchliches Verhältnis ist, wird in
Teilen der europäischen Solidaritätsbewegung und Gruppen, die sich positiv auf
die Zapatistas beziehen, zu einer verkürzten, falschen Analyse.
Aufschlussreich
sind auch die jüngsten Proteste in Argentinien. Der sehr hohe Anteil an
städtischer Bevölkerung schließt in Argentinien die Perspektive einer
Entschärfung sozialer Konflikte durch eine Landreform anders als in Mexiko oder
Brasilien von vornherein aus. Bei der Durchsetzung des postfordistischen Umbaus
setzte insbesondere die Regierung Menems in den 90er Jahren auf eine radikale
neoliberale Integration in den Weltmarkt. Sie versuchte der Wirtschaftskrise
und der damit verbundenen Hyperinflation damit zu begegnen, den Peso direkt im
Verhältnis 1:1 an den US-Dollar zu binden.
Zunächst
schienen die ArgentinierInnen mit ihrer Währung in die „Erste Welt“
aufgestiegen zu sein. Doch die Maßnahme war nicht mehr als eine spekulative
Vorwegnahme einer gelungenen Weltmarktintegration unter postfordistischen
Vorzeichen, die erst realisiert werden musste. Der Druck auf die argentinische
Industrie und ihre Belegschaft wurde lediglich verlagert. Wurden früher die
Reallöhne durch die Inflation gesenkt, so mussten sie nun auch nominal gesenkt
werden. Firmen denen es nicht gelang, das Produktivitätsniveau anzuheben,
mussten den Betrieb schließen.
Auch
der Staat blieb nicht von dem ökonomischen Druck verschont. Seine Ausgaben
konnte er nicht mehr mit der Notenpresse begleichen. Die als Alternative zu
Menem angetretene Regierung unter De la Rua verschärfte den Kurs noch mit dem
in der Verfassung verankerten Versprechen, keine staatlichen Schulden
aufzunehmen. Es blieb nur der (endliche) Verkauf von Staatsbesitz und der
Rückzug von staatlichen Aufgaben.
Da
der offizielle Peso jedoch weiterhin 1:1 gegen US-Dollar getauscht werden
konnte, versuchten immer mehr Leute, ihre Rücklagen auf die sichere Seite zu
bringen. Der Staat zog die Notbremse und nahm die mehrheitlich nur noch
nominell vorhandenen Guthaben auf argentinischen Banken in Gewahrsam, der sog.
corralito beschränkte die Möglichkeit, Geld abzuheben. Das Pulverfass
explodierte und die Regierung war politisch nicht mehr zu halten.
In
der Wahrnehmung dieser Entwicklung innerhalb der argentinischen Linken besteht
in großen Teilen die Verklärung der Peronistischen Zeit fort[4].
Der peronistische Versuch, eine Nationalökonomie aufzubauen, wird gegen die
neoliberale Politik der freien Zirkulation von Waren und Kapital gesetzt; das
nationale Interesse gegen den Verrat der korrupten Eliten; das produktive gegen
das spekulative Kapital. Während das eine Arbeitsplätze und Werte schafft,
versucht das andere sich in der unkontrollierten Zirkulationssphäre unlauter zu
bereichern und vernichtet zudem als nicht zu verwertend erkannte
Produktionskapazitäten und Arbeitsplätze. Für das eine stehen die nationalen
Unternehmen, für das andere die transnational agierenden Großkonzerne. Eine
Trennung, die immer auch ein strukturell antisemitisches Element hat und die
Ausbeutung im Rahmen einer nationalen Warenproduktion und -zirkulation tendenziell
schönredet.
Drei
Gegenstrategien von unten sind in Argentinien in relativ großem Maßstab entwickelt
worden. Zum einen die Selbstorganisation der Arbeitslosen „Piqueteros“, die mit
spektakulären Blockaden von Hauptverkehrsadern auf sich aufmerksam gemacht
haben. Und die Selbstorganisation auch der städtischen Mittelklassen in
Nachbarschaftskomitees im Zuge des Aufstandes vom Dezember 2001. Zum zweiten
die Tauschmärkte, die ein eigenes Wirtschaftssystem mit eigenem, „creditos“ genannten
Geld etabliert haben, die im Zuge der Krise einen explosionsartigen Zuwachs
erfahren haben und darüber gerade in die Krise geraten sind. Schließlich die
Fabrikbesetzungen mit denen entlassene ArbeiterInnen versuchen die von den
Besitzern geschlossenen Betriebe in Eigenregie weiterzubetreiben.
In
allen drei Widerstandsformen stecken emanzipatorische Momente, die
Selbstorganisation jenseits von klassischer politischer Repräsentation, der
Versuch einen Güteraustausch jenseits des kapitalistischen Marktes zu
realisieren, die Aneignung der vorhandenen Produktionskapazitäten. Alle drei
Formen sind ohne Zweifel auch aus einer sozialen Notwendigkeit das eigene
Überleben zu sichern entstanden. In allen drei Ansätzen zeigt sich aber auch
die Schwäche und Problematik einer auf Neoliberalismus und Globalisierung verkürzten
Kritik am Kapitalismus.
Insbesondere
an den Tauschmärkten lässt sich dies verdeutlichen. Sie knüpfen unter anderem
an die strukturell antisemitische Geldkritik von Silvio Gesell an. Dessen Lehre
sieht das Grundübel des Kapitalismus in der Fähigkeit des Geldes, angehäuft und
gegen Zinsen verliehen zu werden. Geld dürfe nur zur Abwicklung des Tausches
zwischen Produzenten dienen und müsse darum „rosten“, also mit der Zeit an Wert
verlieren. Die Ausbeutung fände demnach nicht in der Produktionssphäre, sondern
in der Sphäre der Zirkulation statt. In diesem Bild wird nicht, wie in der Marxschen
Kritik der Politischen Ökonomie, die Differenz aus dem Wert der Arbeitskraft
und dem von ihr produzierten Wert als Mehrwert eingestrichen und auf dem Markt
realisiert, sondern unlautere Spekulanten und Zinswucherer pressen auf dem
Markt den ehrlichen Produzenten ihren Gewinn ab.
Die
auf den unmittelbaren Austausch zwischen den, „Prosumenten“ genannten, ProduzentInnen als KonsumentInnen,
ausgerichteten Tauschmärkte werden im Gegensatz zum freien Markt als gerecht
angesehen. Für die Marktgerechtigkeit ist es aber unerheblich, ob die
angebotene Ware selbst hergestellt wurde. Diesem Missverständnis entsprechend
wird die Krise der Tauschmärkte als Ergebnis von Spekulation aufgefasst. So
sollen Leute zum Beispiel Zucker günstig im Supermarkt aufgekauft haben, um ihn
dann auf dem Tauschmarkt überteuert gegen andere Ware getauscht zu haben, die
sie dann wiederum auf dem freien Markt versetzt haben. Was sich darin ausdrückt
ist keine Ungerechtigkeit des Marktes, sondern die geringe Produktivität der
prekären KleinproduzentInnen.
Wie
die fordistischen Nationalökonomien versuchten, den eigenen Markt gegen die internationale
Konkurrenz abzuschotten, versuchen die Tauschmärkte einen Warenkreislauf unter
den Ausgeschlossenen zu etablieren. Als Überlebenstechnik mag dies notwendig
sein, als politische Utopie taugt es nicht viel. Nur wo jenseits des Marktes
daraus Diskussionen entstanden sind, was die eigenen Bedürfnisse sind und wie
deren Befriedigung mit den gesellschaftlich vorhandenen Ressourcen gemeinsam
geplant angegangen werden können, scheint eine Kapitalismus überwindende
Perspektive auf. Solidarität lässt sich eben nicht über einen „gerechten Markt“
verwirklichen.
Die
bereits erwähnte Tendenz, in der Rede von der Globalisierung das Fortbestehen
des (neo-) kolonialen Verhältnisses zu verneinen, führt gerade in Fragen der
Solidarität zu Fehleinschätzungen. Die Position der Zapatistas, keine
Solidarität im Sinne von Hilfsleistungen zu wollen, sondern den international
vernetzten Widerstand gegen den Neoliberalismus, wird schnell als eine
prinzipielle Interessenidentität hier wie dort gedeutet. Wie schon das Konzept
des „proletarischen Internationalismus“ der fordistischen Phase scheitert diese
Vorstellung an der realen Besserstellung, die das „Proletariat“ wie die
„Zivilgesellschaft“ der Metropolen zu verteidigen weiß. Deswegen können sich
viele das Scheitern des Internationalismus in den Metropolen nur als Folge von
Verblendung oder Manipulation vorstellen.
Für
soziale Bewegungen in der Peripherie ist heutzutage eine ökonomische
Unabhängigkeit auf nationaler Ebene kaum erreichbar, wenn man von der nur
theoretisch möglichen Rückkehr zu einer vollständigen Subsistenzökonomie
absieht. Ebenso verspricht die Eroberung der Staatsmacht nur bedingt Erfolg, da
mit dieser kein nennenswerter Einfluss auf das transnationale Kapital ausgeübt
werden kann (vgl. unsere Argumentation in: Von
der nationalen zur sozialen Befreiung, iz3w Sonderheft: Soziale Bewegungen
im globalen Kapitalismus, September 2001). Das heißt nicht, dass regionale Bewegung
im Trikont nicht jetzt oder in Zukunft in ihren unmittelbaren Kämpfen auf
Krisen reagieren werden und sollten, die trotz der weltwirtschaftlichen
Vorgaben innerhalb der jeweiligen Nationalökonomie besser gehandhabt werden
könnten und deshalb auch vorrangig in einem nationalen Kontext zu lösen und
auszuhandeln sind. Die Kämpfe um eine gerechtere Landverteilung in Brasilien
durch die Landlosen-Bewegungen können sinnvoll im nationalstaatlichen oder
regionalen Rahmen geführt werden. Dennoch wird durch diese Kämpfe nicht ein die
Existenz eines Exporte und Agrobussiness fordernden Weltmarkts und seiner
Deregulierung und Sozialstaatsabbau fördernden Institutionen (WTO, IWF etc.) in
Frage gestellt.
Perspektivisch
heißt dies für alle sozialen Bewegungen in der Peripherie und in den
Metropolen, dass sie sich nicht auf regionale und deshalb tendenziell systemimmanente
Abwehrkämpfe beschränken können. Längerfristig werden die Bewegungen aus ihren
lokalen Kämpfen heraus, bei aller Unterschiedlichkeit und Ungleichzeitigkeit
der Kämpfe, auf eine weltweite Vernetzung abzielen müssen. Es gibt heute keinen
Grund mehr für die Linke, sich wie Stalin und Trotzki in den 20er Jahren
darüber zu streiten, ob der Aufbau des Sozialismus in einem Land möglich ist.
Die damalige Perspektive einer staatskapitalistischen Entwicklung, verknüpft
mit relativ egalitären Distributionsformen, stammt aus dem Beginn des Fordismus
und ist heute verwehrt.
Zwar
ist der ökonomische und (staats)politische Organisationsgrad des
transnationalen Kapitals auf absehbare Zeit noch wesentlich mächtiger als seine
Gegenbewegungen. Es besteht jedoch insoweit eine Perspektive der
gesellschaftlichen Emanzipation, als es wieder zum ersten Mal seit der Politik
der zweiten und der dritten Internationale für breitere Kreise auf der Hand
liegt, dass nur eine wirkliche internationalistische Zusammenarbeit weiter
führen kann. Dies gilt sowohl für reformistische als auch für
systemüberwindende Perspektiven. Denn beispielsweise auch eine reformistische
Kontrolle oder grundsätzliche Transformation der globalen Finanzmärkte ist nur
im weltweiten Maßstab vorstellbar.
Die
gegenwärtige „Anti-Globalisierungsbewegung“ scheint diese Erfordernisse auf den
ersten Blick bereits umzusetzen. Auf den zweiten Blick wird allerdings
deutlich, dass bei einem großen Teil der Anti-Globalisierungsbewegung die Form,
also die globale Vernetzung von Bewegungen und Gruppen, selbst zum Zweck und
Inhalt von Politik wird. So wichtig eine grenzüberschreitende Organisierung und
Vernetzung von Bewegungen ist, so unerlässlich ist eine klare Bestimmung von
und ein inhaltliches Ringen um Positionen, das auch zum Aufkündigen von
Bündnissen führen kann. Ein breites und weltweit agierendes Bündnis ist kein
Wert an sich. Die Theorielosigkeit und Vernachlässigung einer umfassenden
Kritik der politischen Ökonomie, für welche sich die Regulationstheorie als Handwerkszeug
eigentlich anbieten würde, und das Fehlen einer linken Perspektive wonach die
Verhältnisse grundsätzlich umzugestalten wären, führt in weiten Teilen des
Anti-Globalisierungsbündnisses zu einem verkürzten Anti-Kapitalismus.
Für
unseren Ansatz einer radikal linken Praxis, den wir als Kosmopolitischen
Kommunismus bezeichnen, bedeutet dies, dass wir eine Beteiligung an
Bündnissen nur möglich und sinnvoll finden, solange eine klare inhaltliche
antikapitalistische Positionierung nicht zugunsten des Erhaltes und der Größe
des Bündnisses in den Hintergrund gedrängt wird. Radikal linke Gruppen sollten
sich mit auf einer marxistischen Analyse basierenden kritischen Positionen in
Anti-Globalisierungsbündnisse einbringen, ohne sich dabei am Basteln von
Verbesserungsvorschlägen für einen vermeintlich gerechteren Kapitalismus zu
beteiligen. Diese fortgesetzten widerständigen Anstrengung bedürfen des praktischen
Ausprobierens, aus dem Fehler, Widersprüche, Niederlagen und Erfolge
resultieren. Keine theoriegeleitete Analyse kann diesen Prozess
vorherbestimmen. Der Wert der Regulationstheorie liegt in ihrem Potential zur
kritischen Reflexion dieser Praxis.
[1] Vgl. dazu unsere Ausführungen
in Neidhardt/Bischof (Hg.): Wir sind die Guten. Antisemitismus in der Linken.
Unrast, Münster 2000.
[2] In „Postfordistische
Guerrilla“ beschreiben wir dies in den Kapiteln „Postfordismus in der
Semiperipherie: Das Beispiel Mexiko“ und in dem Kapitel „Algerien: Der
gescheiterte dritte Weg“.
[3] Joachim Hirsch, Vom Ultra zum
Hyper. Das neue Gesicht des Imperialismus, iz3W 251, Feb/März 2001.
* Nicht alle Mitglieder der Gruppe halten diesen
Abschnitt, der einen kursorischen Überblick über die Länder der Peripherie
gibt, für dem Gegenstand angemessen und notwendig. Anderen ist - im Rahmen
dieses Artikels - dieser Abschnitt für ein Verständnis von (Post)fordismus in
der (Semi-)Peripherie auch in seiner rudimentären Form wichtig.
[4] Der sogenannte Links-Peronismus in
Argentinien ist ein besonders folgenschweres Beispiel für die Verwechslung und
Vermengung von antikolonialen mit antikapitalistischen Projekten. 1943 gelangte
der Oberst Juan Peron durch einen Militärputsch an die Macht und ließ sich 1946
durch Wahlen als Präsident bestätigen. Gemeinsam mit seiner Frau Eva Peron
vertrat er eine populistische Variante der fordistischen Entwicklung des
Landes, bis er 1955 durch einen Militärputsch abgesetzt wurde.
Der ins
faschistische Spanien exilierte Juan Peron und seine kurz vor dem Putsch
gestorbene Frau Eva wurde zum mythischen Bezugspunkt der Opposition, und fast
der gesamte Widerstand bezog sich positiv auf den Peronismus. Als in den 70er
Jahren die Massenbewegungen und auch bewaffnet agierende Gruppen im Land
erstarkten, holten die Militärs Peron aus dem Exil zurück. Zum Erstaunen der Links-Peronisten
stellte sich Peron nicht hinter die Forderungen der ArbeiterInnen, sondern
stütze die Schlägertruppen der Gewerkschaftsbürokratie und deckte die
Todesschwadrone. An
eine Neuauflage des fordistischen Erneuerungsprogramm war in den 70er Jahren
nicht zu denken.