Mitte März bemühte
ein Fernsehkommentator für die Beschreibung der Entwicklung im Irakkonflikt
folgendes Bild: Zwei Züge rasten aufeinander zu und keine der Konfliktparteien
aus den USA und Europa sei in der Lage, sie aufzuhalten. Bleibt man in diesem
Bild, stellt sich die Frage, welche der am Konflikt beteiligten Parteien mit welcher
Intention die Züge aufeinander zurasen lassen. Um sich den gegenwärtig am Irakkonflikt
ausgetragenen Widersprüchen zwischen den verschiedenen imperialistischen
Ländern nähern zu können, ist deshalb ein Blick auf die unterschiedlichen ökonomischen,
politischen und militärischen Voraussetzungen dieser Akteure sinnvoll. Dabei
wird auch deutlich in welchen ideologischen Formen die Kontrahenten den
Konflikt austragen.
Obwohl die USA
weiterhin die größte in einem Staat organisierte Volkswirtschaft besitzen sind
Zeichen eines relativen ökonomischen Niederganges der USA auszumachen. Im Handel
mit anderen kapitalistischen Staaten besitzen die USA ein hohes
Leistungsbilanzdefizit, was sich in einer im Verhältnis hohen Auslandsverschuldung
und der Aufblähung der Dollargeldmenge niederschlägt. Langfristig ist damit ein
deutlicher Wertverlust des Dollars angelegt. Insbesondere in weiten Bereichen
der Konsumgüterindustrie und dem Anlagenbau sind die USA heute nicht mehr konkurrenzfähig.
In dem Zukunftsmarkt ressourcensparender Industrien und Energieversorgung
können die USA mit ihrer Ausrichtung auf die Ölindustrie im Gegensatz zu Europa
auf keine Fortschritte verweisen.
Bisher
blieb der Dollar jedoch aufgrund der politisch-militärischen Dominanz der USA
die Leitwährung der Welt. Im Zweifelsfall kann das US-Militär gerufen werden,
um eine politische Krise, welche die Wirtschaft destabilisiert, ruhig zu
stellen. Im Falle des Iraks können die USA die machtpolitischen Voraussetzungen
schaffen, um sich die strategische Ressource Öl günstig anzueignen.
Was
die Quantität der Wirtschaftsleistung betrifft sind sich die USA und die EU
ungefähr gleich stark. Die Qualität der USA besteht jedoch unter anderem
finanzpolitisch darin, dass auf dem einheitlichen Wirtschaftsraum ein
vereinheitlichter politischer Wille aufbaut, der auch militärisch in die ganze
Welt projeziert werden kann. Die Funktion einer Leitwährung, nach der sich die
anderen Währungen in ihrer Wertbestimmung ausrichten, hat für die USA den
Vorteil, dass beispielsweise die Schuldentilgung der USA gegenüber dem Ausland
durch eine Notenbank gesteuerte Abwertung deutlich begünstigt werden kann.
Umgekehrt führt eine Aufwertung des Dollars zu einer Erhöhung des Ölpreises für
die anderen Länder und kann damit zum Schaden von Konkurrenten eingesetzt werden.
Im September 2002
verkündeten die USA eine neue Nationale Sicherheitsstrategie
(www.whitehouse.gov/nsc/). Darin wird geschildert, wie sich nach dem Ende des
sowjetischen Machtblockes für die USA neue Möglichkeiten, aber auch Risiken ergeben.
In dem Papier wird eine erneute Runde von Machtkämpfe zwischen den bestehenden
und potentiellen Großmächten Russland, China, Indien, der EU und den USA für
möglich gehalten. Während des Kalten Krieges waren Westeuropa und die USA
wesentlich stärker als heute aufeinander angewiesen. Westeuropa meinte die USA
als militärische Schutzmacht zu benötigen. Für die USA schien der mögliche
Verlust der Absatzmärkte in Westeuropa nicht hinnehmbar. Beide Seiten bemühten
sich deshalb zusammen und erfolgreich, die realsozialistischen Staaten einzudämmen
und sie danach zu Fall zu bringen. Auch größeren Regionalmächten mit Entwicklungspotential
wie China oder Indien blieb in einer politisch und militärisch polarisierten
Welt kein großer eigener Bewegungsspielraum.
In
der jetzigen Sicherheitsstrategie vertreten die USA den Ansatz, wonach
kein weiteres Land oder eine
Kombination von mehreren Ländern den bestehenden militärischen Vorsprung USA
einholen darf. Dies soll dadurch garantiert werden, dass eine hoch überlegene
und jederzeit weltweit einsetzbare US-Armee potentielle Konkurrenten
abschreckt. Im Zweifelsfall billigt sich die amerikanische Administration das
Recht auf präventive und vorbeugende Militärschläge zu. Dabei sollen je nach
politischer Opportunität wechselnde Kriegskoaliationen zustande kommen. Im Zweifelsfall
wollen die USA auch einseitig und ohne eine Billigung durch die UNO losschlagen.
Deshalb unterwirft sich die Regierung der USA auch nicht dem internationalen
Strafgerichtshof, der Kriegsverbrechen und den Bruch des Völkerrechts aburteilen
kann.
Die
Verkündung der neuen Strategie geht mit einem Ausbau des Kriegskeynsianismus
einher. Unter Aufnahme von Schulden wird in den USA zur Zeit so viel Geld in
Rüstungsprojekte gesteckt wie ehedem unter Ronald Reagan, um die Sowjetunion
niederzuringen. Diese Waren in Form von Waffen und Munition werden im Krieg
aufgebraucht und zerstören damit weitere Güter, die wiederum neu produziert
werden können. Dies ist ein kleiner, wenn auch nicht unerheblicher Beitrag zur
Lösung der gegenwärtigen weltweiten Überakkumulationskrise. Deshalb sind in der
Vergangenheit beim Ausbruch begrenzter Kriege die Börsenkurse auch schon mal
stark gestiegen, anstatt zu fallen. Denn den börsennotierten Unternehmen
eröffnen sich in Kriegs- und Nachkriegszeiten neue Expansionsfelder. Die
Absicht von einer ökonomischen Neuordnung des Irak und der gesamten arabischen
Halbinsel zu profitieren stellt auch ein wesentliches Motiv derjenigen
Regierungen dar, welche die USA in einem Feldzug unterstützen.
Ideologisch
wird die offensive Herangehensweise der US-Regierung von einem sogenannten
Amerikanischen Internationalismus getragen. Die Kriege im Irak oder Afghanistan
würden demnach maßgeblich zur Durchsetzung von Demokratie, Menschenrechten und
freiem Warenverkehr geführt. Dieses neue imperialistische Sendungsbewußtsein
konkurriert in den USA traditionell mit einer isolationistischen Strömung,
wonach sich die USA als Kontinental- und Handelsmacht genug seien und einem
ehedem multilateralen Ansatz, wie teilweise noch unter Bill Clinton, welcher
den Aufbau und die Einbindung in internationale Institutionen, wie die UNO, befürwortet.
Ob die offen imperialistische Ausrichtung heute eine neue Qualität hat oder nur
das fortsetzt, was auch schon Ronald Reagan propagierte, scheint offen. In
ihren praktischen politischen Auswirkungen verweist die imperiale Strategie
jedoch auf einen anderen Rahmen, weil heute im Gegensatz zu vor 20 Jahren eine
unilaterale Weltbeherrschungsstrategie der USA nicht unmöglich scheint.
In ihrer
polit-ökonomischen Beherrschung der arabischen Halbinsel setzen die USA
traditionell auf einen Petrodollar-Imperialismus. Die USA gewinnen einen
Extraprofit, indem die Gewinne aus der Ölförderung mittels Waffenkäufen der
arabischen Staaten sowie der Abrechnung des Öls in Dollar in die USA als
Handelsgewinne und Investitionen zurückfließen.
Bisher
garantiert Saudi-Arabien die Ölversorgung der USA aus der Golfregion. Zuvor
waren in die strategische Versorgung der USA auch der Iran und der Irak einbezogen.
Neben der Unterstützung des Islamismus durch saudische Bürger und deren
Regierung ist auch der von Saudi-Arabien initiierter Anstieg des Ölpreises und
die Weigerung der Saudis, die verstaatlichte Ölindustrie für US-Investoren zu
öffnen, gegen die Interessen der USA gerichtet. Hintergrund dieser Entwicklung
ist die finanzielle Krise des „Wohlfahrtsstaates“ in Saudi-Arabien, in dem bei
einer 30%igen Arbeitslosigkeit eine breite Schicht von Rentiers von
nichtsaudischen Arbeitern versorgt wird. Im Rahmen dieser Umorientierung wird
in Saudi-Arabien auch überlegt, das Öl wie der Iran, Irak und Venezuela in Euro
zu verkaufen. Schon jetzt dehnt die BRD ihren Handelseinfluß auf der arabischen
Halbinsel deutlich aus. Sollten die saudischen Öllieferungen an die USA in der
gegenwärtigen Situation eingestellt werden, wäre dies für die USA ökonomisch
nur schwer zu verkraften.
In
den strategischen Überlegungen der US-Administration spielt deshalb die
Überlegung eine Rolle, die Abhängigkeit von Saudi-Arabien zu beenden, indem unmittelbar
auf die Ölvorräte des Irak zugegriffen werden kann. In diesem Wege könnte im
Zusammenwirken mit Russland auch das Kartell der OPEC aufgebrochen und der
Ölpreis insgesamt gesenkt werden. Ein im Krieg besiegtes Land böte den USA auch
die Möglichkeit, für die eigene Ökonomie einen Ölpreis unter Weltmarktniveau
durchzusetzen und so einen nicht unerheblichen ökonomischen Vorteil zu
erlangen. Eine Eroberung des Irak würde dessen Markt wieder für die USA öffnen,
die zusammen mit Großbritannien von diesem seit dem zweiten Golfkrieg
ausgeschlossen sind. Dies ist insbesondere dann vorteilhaft, wenn eine durch
Krieg und Embargo zerstörte Infrastruktur wieder aufgebaut werden kann und
dafür das geschlagene Land mit seinen Ölvorräten bezahlt.
Interessen der BRD und anderer europäischer Kriegskritiker
Die ökonomische
Ausgangssituation der EU ist davon geprägt, dass es sich um einen zunehmend
hochwertig vernetzten Wirtschaftsraum handelt, dessen periphere Regionen im
Süden und demnächst im Osten noch über ein erhebliches nachholendes
Wachstumspotential verfügen. Im Gegensatz zu den USA zeichnen sich die europäischen
Kernstaaten auch durch eine relativ hohe soziale Integration aus, was eine
Voraussetzung für wohlorganisierte Arbeitsbeziehungen und –prozesse ist.
Jüngster Ausdruck der qualitativen Vertiefung der EU-Wirtschaft ist die
Schaffung des Euro. Zur Zeit stellt dieser nach dem Dollar die zweite
Weltwährung dar. Bei einem entsprechenden politisch-militärischem Gewicht der
EU könnte der Euro mit dem Dollar gleich ziehen oder diesen sogar als führende
Währung ersetzen, wenn die Wirtschaft der USA ihre verbliebene Dynamik einbüßt.
Aus Sicht der USA droht jedoch finanzpolitisch nicht nur aus der EU Gefahr
sondern langfristig auch aus China. Das politische System Chinas ist relativ
stabil, China ist der Nationalstaat mit der größten Bevölkerung und es hat im
Rahmen einer nachholenden Entwicklung seit Jahren enorme Wachstumsraten der
Wirtschaft zu verzeichnen.
Auf
der militärisch-machtpolitischen Ebene erkämpfen sich die bundesrepublikanischen
Eliten seit 1989 Stück für Stück mehr Handlungsspielraum. Vor 1989 beteiligte
sich die Bundeswehr nicht an direkten militärischen Aktionen, sondern leistete
nur infrastrukturelle, diplomatische und ökonomische Hilfsdienste. Mit dem
Vorantreiben des jugoslawischen Auflösungsprozesses seit 1991 wurde die
Stellung der BRD, teilweise in Konfrontation mit Frankreich und England, als
ein führender Staat in Europa ausgebaut: Im Kosovokrieg kam zum ersten Mal
bundesdeutsches Militär ohne UNO-Mandat zum Einsatz. In Afghanistan wurden
Bundeswehrsoldaten außerhalb Europas in Kampfeinsätze geschickt. Schritt für
Schritt wurden damit die imperialistischen Konkurrenten und die deutsche
Gesellschaft an eigene militärische Aktionen der Bundesrepublik gewöhnt. Für
die Bundeswehr heißt dies konkret, dass ihr wegen der vielfältigen
Auslandseinsätze zur Zeit keine wesentlichen zusätzlichen oder qualitativ
weitergehenden Engagements möglich sind. Würde die BRD in einer solchen
Konstellation einem Krieg ohne ihre direkte Beteiligung mit Kampftruppen zustimmen,
wäre sie wie beim zweiten Golfkrieg zu einer Mitfinanzierung gezwungen, ohne
dass sich dies nach dem Krieg in einem wesentlichen ökonomisch-politischen
Einfluß niederschlagen würde.
Laut
der neuen Interventionsstrategie des deutschen Verteidigungsministers wird die
Sicherheit in Deutschland somit nun am Hindukusch an der Grenze von Afghanistan
und Pakistan verteidigt. Für die Bundeswehr bedeutet dies schon seit mehreren
Jahren, dass der Schwerpunkt von der sogenannten Landesverteidigung mit großen
Panzerarmeen hin zu hochmobilen weltweit einzetzbaren Spezialkräften verlagert
wird. Ab 2003 wurde in der EU außerdem mit der Aufstellung eigener europäischer
Interventionskräfte begonnen. Diese Armee soll 60.000 Männer und Frauen
umfassen und weltweit einsetzbar sein. Damit lassen sich aus dem Stand
mittelgroße Kriege führen. Geplant sind in diesem Zusammenhang der Aufbau
eigener europäischer Lufttransportkapazitäten, Marschflugkörper, einer
Satellitenaufklärung und die Verstärkung der Seestreitkräfte. Mit der
Aufrüstung geht der Ausbau einer integrierten europäischen Rüstungsindustrie
einher, welche die technologische Unabhängigkeit von den USA herstellen soll.
Noch
gelten die europäischen Streitkräfte, obwohl ausdrücklich von Frankreich
gewünscht, nicht als ausschließende Konkurrenz zu den mulitlateralen
Interventionsstreitkräften der NATO. Bisher bleiben sie in Teilen auf die
Infrastruktur der NATO angewiesen. Eine Integration europäischer Atomwaffen,
insbesondere der Frankreichs, in die EU-Streitkräfte ist ebenfalls noch nicht
absehbar, obwohl gerade dies das weltpolitische Gewicht der EU stärken würde.
Für die nähere Zukunft haben Frankreich und die BRD, auf Grundlage qualifizierter
Mehrheiten zunächst vor, die EU auch zu einer „Sicherheits- und
Verteidigungsgemeinschaft“ fortzubilden. Für die Bundesrepublik erhöht die
Aufstellung europäischer Streitkräfte die Möglichkeit, deutsches Militär nach
eigenen politischen Vorstellungen einzusetzen. Denn in der EU besitzt sie ein
relativ größeres politisches Gewicht als in der NATO, die von den USA dominiert
wird.
Bis zum zweiten
Golfkrieg war die Bundesrepublik der wichtigste Handelspartner des Irak. Auch
nach dem zweiten Golfkrieg und trotz der Sanktionen halten Russland,
Frankreich, Deutschland und China ihre ökonomischen Verbindung zum Irak über
den Handel mit Nachbarländern des Iraks (Ölschmuggel) und den Erwerb von Ölförderlizenzen
aufrecht. Die BRD ist dabei die einzige mittelgroße imperialistische Macht, die
keine eigene Ölindustrie besitzt. Führend ist sie jedoch im Anlagen- und
Pipelinebau sowie deren Betreibung. Auf diese Weise wurde die Bundesrepublik im
Verbund mit deutschen Unternehmen zum Hauptgläubiger der russischen Ölindustrie,
was ihr einen strategischen Einfluss auf diese Energieressourcen sichert.
Ebenso
ist die BRD der zentrale Handelspartner von Syrien, Iran, Jordanien und der
Türkei. Allen diesen Nachbarländern droht bei einem Krieg mit dem Irak eine
ökonomische und politische Destabilisierung. Die Flüchtlinge, welche die Nachbarländer
des Irak aufnehmen müßten, könnten teilweise auch einen Weg nach Westeuropa
finden. Nach der Rhetorik der USA gehört auch der Iran zur sogenannten Achse
des Bösen. Würde dieser von den USA angegriffen und besetzt werden, würde dies
die deutsche Wirtschaft ungleich härter treffen als der Krieg gegen den Irak,
denn die Bundesrepublik besitzt auch in quantitativer Hinsicht umfangreiche Handelsbeziehungen
mit dem Iran.
Insgesamt
exportiert die EU dreimal so viele Güter in den Nahen Osten wie die USA. Die
Interessen der USA beziehen sich somit vor allem auf einen gesicherten und
möglichst kostengünstigen Ölimport von der arabischen Halbinsel. Die Vereinigten
Staaten von Amerika können sich deshalb mit der Errichtung von strategisch
ausgewählten Militärregimen zufrieden geben. Aus einer geostrategischen Sicht
der EU und wegen ihrer räumlichen Nähe ist ihr die politische und soziale
Stabilität des gesamten Nahen Ostens wesentlich wichtiger als den USA. Die EU
plant deswegen auf lange Sicht, den Mittelmeerraum und den Nahen Osten in einer
Freihandelszone als Einflußgebiet an sich zu binden. Ein solcher Ansatz kann
nur auf Basis einer friedlichen ökonomischen Durchdringung gelingen, in welcher
die arabischen Regime auch politisch gewonnen werden, und nicht durch eine
neokoloniale Militärpolitik. Die EU befürchtet, dass militärische
Interventionen der USA sie in dieser Hinsicht zurück werfen. Dieser scheinbar
schwache Ansatz, insbesondere von Frankreich und der BRD, ihre
Handelsinteressen in den Vordergrund zu stellen, da sie auch nicht auf eine
militärische Übermacht zurückgreifen können, könnte sich langfristig als erfolgreich
herausstellen.
Die rot-grüne
Bundesregierung benennt ihre Politik offener als die vergangenen konservativen
Regierungen als national eigenständige Politik. Schröders Slogan vom „deutschen
Weg“ bringt den Zeitgeist auf den Punkt. Offensiv werden auf der nationalen und
internationalen Bühne die deutschen „Sicherheits- und Militärinteressen“ als
solche benannt und als ausdrückliche Entscheidungsgrundlage für die politische
Ausrichtung der Bundesregierung herangezogen. Zuvor geschah dies hinter vorgehaltener
Hand oder fand sich nur in Strategiepapieren wieder, die von der Öffentlichkeit
wenig beachtet wurden, wie beispielsweise die verteidigungspolitischen Richtlinien,
in denen schon 1992 festgehalten wurde, dass die vitalen Sicherheitsinteressen
Deutschlands darin bestünden, ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in
aller Welt zu besitzen.
Die
gesellschaftliche Akzeptanz dieser Politik ist groß, da sie besonders unter
Rot-Grün mit universialistischen Menschenrechts- und Ökologiediskursen
verknüpft wird. Die rot-grüne Regierung erscheint in dieser Hinsicht
glaubwürdiger als die vorangegangenen konservativen Kabinette. Zu diesem
bürgerlich-universialistischen Diskurs gehört auch der Anspruch nach
Verrechtlichung und Institutionalisierung von Konflikten durch die UNO oder der
Durchsetzung des internationalen Klimaschutzabkommens und des internationalen
Strafgerichtshofes. Mit einem solchen Ansatz kann gegenüber den USA zumindest
teilweise das deutsch-europäische Defizit im militärischen Bereich wettgemacht
werden.
Dass
diese politischen Konflikte jetzt ausbrechen hat auch damit zu tun, dass sich
in internationalen Institutionen die geronnen Machtverhältnisse der letzten Jahrzehnte
ausdrücken. Die Praktizierung des Gebotes, sich nicht in die inneren Angelegenheiten
von Staaten einzumischen, oder das Verbot von Angriffs- bzw. Interventionskriegen
geht in seiner modernen Form im wesentlichen auf den Kalten Krieg zurück.
Während dieser Zeit wohnte einer solchen Verrechtlichung von Konflikten eine
gewisse Rationalität inne, da die Gefahr bestand, dass eine regionale
Auseinandersetzung in einen globalen Krieg mündet. Heute dagegen sind regionale
Kriege grundsätzlich wieder führbar, da sie nicht notwendigerweise eine
Reaktion eines gegnerischen Blocks herausfordern.
Diese primär politischen
Auseinandersetzungen sind vielfach von Diskursen unterlegt, in denen die USA im
Gegensatz zu Europa beziehungsweise Deutschland als kulturlos und
ausschließlich auf den ökonomischen Vorteil bedacht dargestellt werden. Mit
einer solchen Denkungsart wird unter anderem die faktische Unterlegenheit
kompensiert. In diese Schablone kann auch die den USA folgende britische
Regierung eingereiht werden, die mit dem Modell des Manchesterkapitalismus
identifiziert wird. Bei dieser Kritik eines ungebremsten Kapitalismus wird
nicht der Kapitalismus als solcher kritisiert, sondern dieser nur auf der Ebene
der Erscheinung von seiner eigentlichen Verwertungsdynamik getrennt.
Teilweise
taucht in diesen anti-amerikanischen Vorurteilen auch eine strukturelle
Analogie zum modernen Antisemitismus auf, im Sinne einer Personifizierung des
wurzellosen Finanzkapitals. Den USA als ältester bürgerlicher Demokratie wird
damit aus der Perspektive einer europäischen Verhaftung in vorbürgerlichen
Gesellschaftsstrukturen (die teilweise im Sozialstaat aufgingen) eine
Zersetzung wohlgeordneter Zivilität vorgeworfen. Im 19. Jahrhundet und in der
Weimarer Republik gab es dagegen noch in weiten Bevölkerungskreisen bis in die
Linke einen positiven Bezug auf die USA als Hort der Modernität, Aufklärung und
Demokratie. Im Hinblick auf die überwiegend autoritäre Verfaßtheit Deutschlands
während dieser Zeit überrascht diese Sicht nicht. Die imperialistische
Konkurrenz und die zwei Weltkriege trugen jedoch maßgeblich dazu bei, dass
dieser Bezug einem weit verbreiteten Feindbild wich.
Bis zu den jetzigen
Auseinandersetzungen gab es keine offen ausgesprochene politische
Herausforderung der USA in einem politisch-militärischen Konflikt mit einer
weltweiten Dimension durch eine Bundesregierung. Vielmehr verfolgten die bundesdeutschen
Eliten bisher die Strategie, ihren eigenen ökonomischen und politischen
Einflusses unter dem Schirm der USA auszudehnen. Erst geschah dies überwiegend
innerhalb Westeuropas – nach 1989 auch in Osteuropa. Wenn ihren gegenwärtigen
Aussagen geglaubt werden darf, ist dies auch weiterhin das Konzept der
konservativen „Atlantiker“, die von Adenauer über Kohl und Schäuble bis Merkel
reichen. Diese werfen der Bundesregierung einen zu konfrontativen und
riskanten, aber auch ungeschickten Kurs vor. Es steht jedoch zu erwarten, dass
die deutschen Konservativen, wenn sie wieder an der Macht sind, selbstbewußt
auf dem bis dahin weltpolitisch erreichten Spielraum aufbauen werden. Insofern
wird es auf absehbare Zeit kein Zurück zu einer relativ bruchlosen Einordnung
in die US-amerikanische Hegemonie geben.
Die
politische Konfrontation vor und nach dem Bundestagswahlkampf sind somit erste,
zunehmend der eigenen Position bewußte Gehversuche der deutschen Regierung, um
eine relative politische Autonomie gegenüber den USA durchzusetzen. Dies
geschieht vor dem Hintergrund der zentralen ökonomischen Rolle der BRD in
Europa, der Wiedererlangung ihrer vollen Souveränität seit 1989, des fortgesetzten
Ausbaus der militärischen Kapazitäten innerhalb der europäischen Strukturen und
der den USA entgegengesetzten ökonomischen Interessen im Nahen Osten. Damit
betreibt die Bundesregierung zum ersten Mal seit 1945 wieder offen formuliert
Weltpolitik im Sinne einer eigenständigen, gegen den überlegenen
imperialistischen Konkurrenten gerichtete globale Machtpolitik.
Bis
dato beschränkte sich die Bundesregierung im Rahmen internationaler Diskurse
gegen die USA auf Auseinandersetzungen um den internationalen Gerichtshof und
die Ächtung der Todesstrafe, den UN-Umweltgipfel oder die
„Anti-Rassismuskonferenz“ in Durban. Dabei handelt es sich gleichwohl noch
nicht um Politik, die unmittelbar auf eine Weltmachtstellung abzielt. Zunächst
geht es primär um die Wiedererlernung und Wiedererlangung politischer
Autonomie. Auch wird den Eliten der BRD zumindest zur Zeit noch deutlich vor
Augen stehen, dass Deutschland für eine Weltmachtposition auf sich alleine
gestellt die ökonomischen, militärischen und politischen Mittel fehlen. Deshalb
engagieren sie sich in großer Einigkeit für eine politische und militärische
Integration der Europäischen Union. Eine realistische Perspektive für eine
Weltmachtposition der BRD oder anderer europäischer Staaten stellt sich nur
innerhalb einer europäischen Föderation.
Frankreich
und England betreiben nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in dem sie im
Wesentlichen von den USA vor einer endgültigen Niederlage bewahrt wurden, und
nach der Auflösung ihrer Kolonialreiche jeweils eine besonders akzentuierte
Politik. Die französische Republik folgt der gaullistischen Forderung nach weitgehender
nationaler Unabhängigkeit von den USA in militärischer und politischer
Hinsicht. Dabei streben die französischen Regierungen wie auch die
Bundesrepublik die politisch-militärische Führung innerhalb der Kern-EU an. Da
Britannien für Frankreich bis auf weiteres als Partner für den Aufbau einer
europäischen Weltmacht ausscheidet, wird zunehmend auf eine
politisch-militärische Kooperation mit der BRD gesetzt. Insofern scheinen sich
die französischen und deutschen Regierung bei aller Konkurrenz untereinander um
die politische Vorherrschaft über die EU in der Absicht zu treffen diese zu
stärken, um eine gemeinsame Weltmachtposition gegenüber den USA aufzubauen.
Britannien
verfolgt seit dem Niedergang des Empires die Strategie einer umfassenden
militärischen Kooperation mit den USA. Dahinter steht die Absicht, im
Windschatten der USA einen Rest von Weltgeltung zu behaupten. Diese Strategie
zieht jedoch nach sich, dass die britische Regierung gezwungen ist, den
politischen und militärischen Vorgaben der USA sehr weitgehend zu folgen.
Gegenüber der wirtschaftlichen und politischen Integration der EU wählen
britische Regierungen ein Vorgehen der kontrollierten und nachlaufenden
Integration. Die Entstehung einer politischen Union soll dabei vermieden
werden. Obwohl Britannien zu den drei großen Staaten der EU gehört, kann es
deshalb innerhalb der EU keinen wirklichen Führungsanspruch geltend machen.
Ein
Teil der westeuropäischen Regierungen wie in Italien und Spanien beziehen sich
im Irakkonflikt entgegen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung zustimmend
auf die USA. Die spanische und italienische Regierunge stehen der
Bush-Administration als extrem konservative Regierungen politisch nahe. Als
zweitrangige europäische Mächte erhoffen sie sich durch die USA eine politische
Aufwertung auf der internationalen Bühne. Auch einige Staaten in Osteuropa
begeben sich demonstrativ auf die Seite der USA. Bei ihnen ist davon
auszugehen, dass dies auch damit zusammen hängt, dass sie eine deutsche
Vormachtstellung in Osteuropa fürchten und sie sich deshalb auf die USA als
Gegengewicht beziehen. Und noch können nur die USA, so sie es denn wollen, ihre
Alliierten wirksam vor der militärischen Bedrohung durch Dritte schützen. Dies
ist insbesondere für die kleineren osteuropäischen Länder relevant. Insgesamt
können die europäischen Widersprüche in der Positionierung zum Irakkonflikt
somit auch als Ausdruck einer EU internen Differenzierung zwischen Peripherie
und Zentrum angesehen werden.
Mit
der Erweiterung der EU nach Osten geht bisher kein wesentlicher Ausbau der
politischen Union einher. Auf der institutionellen Seite wird sich dies wegen
der Vervielfachung der nationalen Vetomöglichkeiten in Zukunft nicht leichter
gestalten. Es liegt deshalb nahe, dass die Vertiefung der EU mittelfristig nur
über krisenhafte Zyklen erreicht wird. Die gegenwärtigen Schwierigkeiten der
EU, eine gemeinsame Außenpolitik zur formulieren und umzusetzen, obwohl sie
sich dies in formaler Hinsicht aufgegeben hat, machen eine Bewegung mit einem
Schritt zurück und demnächst zwei nach vorne wahrscheinlich. Denn von der
Entwicklungslogik der EU führt eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik
dazu, dass notwendigerweise auch ein entsprechendes politisches
Steuerungsinstrument und eine militärische Absicherung aufgebaut werden muss.
Insofern sollten die innereuropäischen Differenzen nicht als ein Indiz für ein
Scheitern des europäischen Integrationsprozesses gewertet werden. Eher
erscheinen sie als dialektische Krisenmomente, welche die Schritte zu einem
politisch-militärischen Staatenbund notwendig begleiten.
Beziehungen zwischen den USA und der EU/Deutschland
In dem aktuellen Konflikt
um den Irak versuchen die USA die EU politisch in eine transatlantische
Fraktion mit Spanien und England und in ein Kerneuropa um Frankreich, die BRD,
die Beneluxstaaten und Österreich zu spalten und das letztere politisch in die
Defensive zu drängen. So gelingt es den USA in diesem konkreten Fall zunächst,
die Ansätze der Konstituierung einer politischen Föderation Europas zu
behindern. Bei dieser offenen Zuspitzung handelt es sich jedoch um einen
dreiseitigen Prozeß bei dem nicht nur Kerneuropa in einer bewußt
risikogeneigten Strategie seine Konkurrenz mit den USA entwickelt, sondern auch
innerhalb Europas die unterschiedlichen Interessen aufeinander prallen.
Die
USA verfolgen in ihrer praktischen Politik auch deutlich die Absicht, dass sich
Europa nicht zu einem ebenbürtigen militärischen Konkurrenten entwickeln soll.
Deshalb versuchen sie, die entstehenden europäischen Militärformationen in die
NATO einzubinden bzw. dieser unterzuordnen. Die vor kurzem beschlossene
NATO-Eingreiftruppe steht in Konkurrenz zu den von der EU aufzubauenden
Interventionskräften, die teilweise auf die selben nationalen Militäreinheiten
zurückgreifen sollen. Auch ist die NATO-Eingreifgruppe so konzipiert, dass sie
zwar von den Europäern unterhalten werden soll, jedoch von den USA geführt
werden wird.
Grundlegend
muß bedacht werden, dass schon die Existenz der NATO als politisch-militärische
Vereinigung den USA die Möglichkeit gibt, innereuropäische Angelegenheiten zu
beeinflussen. Zuletzt wurde dies bei dem Streit um die mögliche zukünftige
Aufnahme der Türkei in die EU deutlich. Die USA begründeten den von ihnen
aufgebauten Druck zur Integration der Türkei damit, dass diese zur geostrategischen
Absicherung des Südosten Europas und des Nahen Ostens notwendig sei. Diese geostrategischen
Interessen treffen sich grundsätzlich mit denen der EU. Doch die Kerneuropäer
befürchten, dass eine Aufnahme der Türkei in die EU die politische Integration
der EU zukünftig noch schwieriger macht und ein weiterer Staat an die
europäische Peripherie herangeführt wird, der außenpolitisch stark von den USA
abhängig ist.
Hinsichtlich
einer vertikalen strategischen Arbeitsteilung wird den europäischen
Mittelmächten Frankreich, Britannien und Deutschland von den USA die Rolle
zugedacht, im übertragenen Sinne die Grenzen des Imperiums Americana zu sichern,
nachdem eine prowestliche Ausrichtung der jeweiligen Konfliktregionen politisch-militärisch
von den USA erzwungen wurde. Diese Rolle nimmt die Bundeswehr aktuell auf dem
Balkan, im Kaukasus, Afghanistan oder am Horn von Afrika war. Kleinere
europäische Länder wie die Schweiz, die Beneluxstaaten oder die skandinavischen
Länder sehen die USA für Blauhelmaktivitäten vor. Die USA werden selbst aktiv,
wenn es darum geht, zentrale Interventionskriege anzuführen, die ein erhebliches
militärisches Potential erfordern bzw. wenn über deren Führung innerhalb der
westlichen Welt kein Konsens hergestellt werden kann. Im Rahmen eines solchen
Konzeptes werden den beteiligten imperialistischen Akteuren von den USA auch
Sub-Hegemonien zugestanden. Die Bundesrepublik durfte beispielsweise die Friedenskonferenzen
zu Afghanistan austragen und kann entscheidenden Einfluß auf den Wiederaufbau
und die Ausgestaltung des afghanischen Staates nehmen. Ähnlich verhält es sich für
die Bundesrepublik bei der politischen und ökonomischen Durchdringung des Balkans.
Das
große Spiel der Sub-Hegemonien betreiben die USA auch in Bezug auf den Irak.
Russland, Frankreich und China wird dabei, so sie ihre Anti-Kriegsposition
aufgeben würden, angeboten, dass ihre Förderverträge mit dem Irak in Teilen
bestehen bleiben würden. Unter der Bedingung, dass das Embargo bisher eine
Realisierung der Verträge nicht zuläßt, besitzt ein solches Angebot durchaus
Attraktivität. Frankreich zieht daraus im diplomatischen Spiel den Schluß, dass
im Gegensatz zu Deutschland keine prinzipielle Antikriegsposition bezogen
werden sollte, sondern dass auch eine Beteiligung an einem unvermeidbar
gewordenen Irakkrieg in Frage kommt, um Einfluß auf einen Nachkriegsirak nehmen
zu können. Wenn das Öl des Nahen Ostens dagegen unter ausschließliche Kontrolle
der USA käme, würde dies eine Erweiterung der politisch-ökonomischen
Unabhängigkeit der EU erschweren.
Stabilisierende Tendenzen der innerimperialistischen
Beziehungen
Diese konkflikthafte
Entwicklung geschieht vor dem Hintergrund einer zunehmenden und wechselseitigen
wirtschaftlichen Verflechtung und Durchdringung der drei großen
Wirtschaftsräume der USA, der EU, und Japans bzw. Ostasiens. Aus dieser
wechselseitigen Abhängigkeit könnte geschlossen werden, dass einer offenen kriegerischen
Auseinandersetzung zwischen den großen Blöcken erhebliche gesellschaftliche,
ökonomische und wirtschaftspolitische Widerstände entgegengesetzt werden
würden. Das jeweilige ökonomische Gewicht der Mitglieder der Triade verlangt
ein Mindestmaß an internationaler Kooperation und Koordination, um ökonomischen
Krisen wie zuletzt in Asien oder unter Umständen demnächst in den USA begegnen
zu können. Dem könnte die Erfahrung entgegengehalten werden, dass
US-amerikanische Firmenbeteiligungen in Deutschland während des 2. Weltkrieges
nicht gekappt wurden, sondern während des Krieges und danach fortgesetzt
wurden.
Die
USA sind auch nach der Blockkonfrontation, in der ein nicht unerheblicher Teil
der Welt von einer unmittelbaren Durchdringung des Kapitals bewahrt waren, auf
Europa und Ostasien als Absatzmärkte und Investitionsräume angewiesen. Ähnlich
geht es der deutschen Industrie mit den USA, wenn Hersteller deutscher
Automarken bei einer Zuspitzung des Konfliktes mit den USA um ihre dortigen
Absatzmärkte fürchten. Gerade auch um Handelskriege im Zaum zu halten und um
ein Minimum an Krisensicherheit zu garantieren, existiert zwischen den
imperialistischen Mächten ein institutionalisiertes Miteinander in Weltbank,
IWF, GATT oder G8. Deren komplexe Kooperations- und Konkurrenzmechanismen
sollen das Konfliktverhältnis in geregelten Bahnen halten.
Geopolitisch ist
mittelfristig eine Fortsetzung der unipolaren Dominanz durch die USA zu
erwarten. Schon um bei einem entsprechenden politischen Willen mit den USA
militärisch im Wege der Aufrüstung gleich zu ziehen, wäre für die EU ein
Zeitraum von vielleicht 20 Jahren notwendig. Hinzu kommt, dass nicht absehbar
ist, dass in Europa die Entscheidung durchgesetzt werden könnte, einen so
wesentlichen Anteil des Bruttosozialproduktes in die Rüstung fließen zu lassen.
Im Rückblick auf vergangene formelle und informelle Weltreiche wäre ein
Niedergang der USA eher durch eine politisch, ökonomische und militärische
Überdehnung der USA zu erwarten. Eine relativ kompromißlose Anwendung der neuen
Sicherheitsstrategie könnte dazu führen, dass die USA zu viele ihrer Ressourcen
in die Waagschale legen müßten oder viele Staaten sich veranlaßt sähen, sich noch
fester gegen die USA zusammen zu schließen, um selbst ein Stück vom weltweiten
Kuchen abzubekommen. Der Omnipotenzanspruch der neuen Sicherheitsstrategie der
USA könnte darauf hindeuten, dass sich die USA schon jetzt in eine Phase der
Überdehnung begeben haben.
Für
Deutschland und die EU liegt in der jetzigen Konstellation somit eine verstärkte
Zusammenarbeit mit Russland und in Verlängerung mit China beziehungsweise
Ostasien nahe. Bei China handelt es sich perspektivisch um den größten Binnenmarkt
der Welt und vielleicht auch um eine kommende militärische Supermacht.
Erschwert wird ein vertieftes institutionalisiertes Zusammenwirken mit Russland
und China, weil mit diesen in unterschiedlicher Qualität kein
bürgerlich-demokratischer Austausch von gleich zu gleich möglich ist. Doch den
Mächten mittlerer Größenordnung bleibt als Behauptungsstrategie zunächst nichts
anderes übrig, als grundsätzlich für eine multipolare Weltaufteilung
einzutreten, indem sie taktische oder strategische Koaliationen gegen die USA
eingehen und sich gleichzeitig soweit an die USA anzulehnen, wie dies für die
Durchsetzung ihrer jeweiligen eigenen Interessen notwendig erscheint.
Von
dieser Art des Changierens zwischen beiden Positionen sind alle Mittelmächte
betroffen, auch diejenigen wie Britannien, die sich sehr weit an die USA anlehnen.
Denn gänzlich kann sich Britannien auch aus ökonomischen Gründen nicht aus der
EU verabschieden. Für die USA bleibt in einer solchen Konstellation die
strukturelle Schwierigkeit, dauerhaft Kooperationen und Allianzen mittlerer
Mächte auszuschließen. Die USA müssen mit ihrer unipolaren Strategie
kontinuierlich obsiegen. Die Gegenmächte müssen zusammen nur einmal erfolgreich
sein, um die Hegemonie der USA ins Wanken zu bringen.
Tiefere Risse in diesem teilweise
labilen Gleichgewicht können sich dadurch ergeben, dass die USA zur
Durchsetzung ihrer Hegemonie gegenwärtig zu sehr auf militärische Mittel
setzen. Eine politische Vereinheitlichung, die in einem Militärbündnis wie der
NATO, das auf formaler Gleichheit beruht, ebenfalls notwendig ist, wird so
immer schwieriger. Dort, wo wechselseitig kein politischer Konsens mehr gesucht
wird beziehungsweise eine gemeinsame politische Sprache fehlt, ist es auch
nicht mehr so leicht, in ökonomischen Krisen mit weltweiter Auswirkung zusammen
regulierend einzugreifen.
Eine
Tendenz zur weiteren Zuspitzung der Konflikte zwischen den USA und der EU kann
vermutet werden, wenn die politisch-militärische Integration der EU voranschreitet
und die USA bei ihrem unilateral ausgerichteten Hegemoniekonzept bleiben. Eine
ähnliche Brisanz könnte zwischen den USA und China bzw. Ostasien entstehen,
wenn Chinas Weltmarktanteil quantitativ und qualitativ an den der USA
heranreichen sollte. Unter der möglichen Voraussetzung einer mittelfristig
stagnierenden beziehungsweise rezessiven Phase der Weltwirtschaft wird die
ökonomische Konkurrenz schon jetzt zu einem existenziellen Verteilungs- und
damit Verdrängungskampf. Anstatt einer unterschiedlich großen, jedoch
wachsenden Partizipation aller Beteiligten an einer expandierenden
Weltwirtschaft Raum zu geben, steht das jeweilige wirtschaftliche Überleben im
Vordergrund.
Unter
solchen Voraussetzungen ist es vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis die
derzeitigen diplomatischen Konflikte zwischen den imperialistischen Mächten in
Stellvertreterkriegen münden. Warum sollten die Bundesrepublik und andere europäische
Staaten sich aus der Logik imperialistischer Konkurrenz nicht gezwungen sehen,
den Iran in den nächsten Jahren massiv aufzurüsten, wenn sich die USA daran
machen, auch diesen Teil der „Achse des Bösen“ zu zerbrechen.
Aus
dem hier gewählten Zugang wird deutlich, dass eine Analyse der gegenwärtigen
Verhältnisse in einer einseitigen Zuspitzungen nicht möglich ist. Die Inkarnation
des Teufels sitzt weder in Washington, Berlin oder Bagdad, wie es unterschiedliche
Fraktionen der Linken glauben machen wollen. Politisch hilft nur die genaue
Analyse eines widersprüchlichen Prozesses, indem versucht wird, sich aus unterschiedlichen
Perspektiven ein möglichst umfassendes Bild zu machen. Das ermöglicht auch
einen Zugang zu der Frage, welchen Gang die derzeitige Entwicklung nehmen
könnte beziehungsweise welche Fragen wir aufwerfen sollten. Wir halten es für
wichtig, diese Konstellationen und Krisentendenzen mit einer genauen und differenzierten
Herangehensweise im Auge zu behalten, um der imperialistischen Konstellation in
Deutschland und Europa mit einem politischen Zugang etwas entgegenzusetzen.
gruppe demontage, März 2003
(Kontakt: Postfach
306132, 20327 Hamburg / www.demontage.org)