Von Gaston Kirsche
(gruppe demontage), 19.09.2001
In der Schlussrunde
des Hamburger Wahlkampfs wurde bekannt, dass zwei der mutmaßlichen Selbstmordattentäter vom 11. September in der Stadt
gelebt haben.
Niemand in Hamburg
muss sich fürchten«, beteuerte Hamburgs Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) in der
vergangenen Woche, es gebe »nach den Erkenntnissen aller Sicherheitsexperten
keine Anzeichen für eine besondere Gefährdung« in der Stadt. Kurz zuvor war
bekannt geworden, dass zwei der mutmaßlichen Selbstmordattentäter von Manhattan
bzw. Washington, der 33jährige Mohamed Atta und der 23jährige Marwan Al-Shehhi,
im Stadtteil Harburg gelebt und studiert hatten.
Die Meldung platzte
in einen Wahlkampf, der vor allem von der Auseinandersetzung um die Innere
Sicherheit geprägt war. »Ist die liberale Metropole auch noch bevorzugter
Unterschlupf für ausländische Terroristen?« fragte das Hamburger Abendblatt am
14. September besorgt seine LeserInnen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Wahlkampf
schon ausgesetzt, alle großen Parteien hatten einer mehrtägigen Pause
zugestimmt. Die Ereignisse könnten der SPD endgültig die Chance auf den Sieg
bei der Bürgerschaftswahl am kommenden Sonntag genommen haben.
Am 23.09.2001 wird
in Hamburg die Bürgerschaft gewählt. Der Wahlkampf ist in vollem Gange.
"Die Stimmung ist prächtig", erklärt Ole von Beust oft und gerne,
"so gut wie lange nicht mehr." Der Bürgermeisterkandidat der
Hamburger CDU beschwört, in der
Bevölkerung
herrsche eine "Wechselstimmung". Gerne beruft er sich dafür auf
Umfragen: Nach denen würde die CDU bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg aber
nur auf 27 % kommen – ein Verlust von
3,7 % gegenüber dem Wahlergebnis von 1997. Die CDU wäre weiterhin auf ihre
ewige Oppositionsrolle abonniert, wäre da nicht der „Bürgerblock“. So
bezeichnen CDU und die tonangebende Springerpresse in Hamburg eine mögliche
Koalition der CDU mit der FDP und der Partei Rechtsstaatliche Offensive, besser
bekannt als Schill-Partei. Kaum gegründet, liegt diese neue, regionale Partei
in Umfragen bei 14 %. Laut neuester Umfragen gibt es derzeit ein Patt zwischen
CDU, Schill-Partei und der wiederbelebten FDP (7 %) einerseits und SPD (36 %)
und Grünen/GAL (12 %) anderseits.
Initiator der
Schill-Partei ist Ronald Barnabas Schill, bekannt als „Richter Gnadenlos“: 1995
verurteilte er etwa eine Frau, die an 10 Autos am Lack gekratzt hatte deswegen
zu zweieinhalb Jahren Haft – ohne Bewährung. In Talkshows wetterte Amtsrichter
Schill seit Jahren oft und gerne darüber, das Politik und Justiz in Hamburg zu
lasch seien. Dafür wurde er in den Hamburger Medien herumgereicht und bekannt.
Schill bedient mit seinen Parolen sowohl das bisherige Wählerpotential der
rechtsextremen Parteien, als auch diejenigen, die eine Politik der harten Hand
gegen Migranten und Störenfriede befürworten, aber bisher vor der Wahl von NPD,
DVU oder der REPs zurückschreckten. Scheiterten diese bei den beiden letzten
Hamburger Wahlen an einer Aufsplitterung der Stimmen durch das Überangebot an
potentiellen Führern, so werden sie diesmal wohl den Großteil ihrer 8 %
Wählerstimmen an Schill abgeben.
Seit Schill als
Parteiführer Wahlkampf macht, hat er seine Parolen noch verschärft. Wer bei
seinen Veranstaltungen mit Zwischenrufen stört, wird von ihm beschimpft als „gewalttätiges
linkes Pack“, mit „mangelhaften Gehirnen“, und nach den Wahlen „wird damit
Schluß sein. So lange habt ihr noch Zeit, kriminell zu sein und die Bevölkerung
zu terrorisieren.“ In einem Interview sprach er sich Anfang des Monats auch für
die Kastration „nicht therapierbarer Sexualstraftäter“ vor ihrer Freilassung
aus: „Ich halte nichts von dem Gutmenschentum, das von den Alt-68-ern
propagiert wird. Die betrachten Straftäter als Opfer der Gesellschaft und
trauen sich zu, jeden zu resozialisieren. Wahrscheinlich hätten sie es sogar
bei Adolf Hitler versucht.“ Der Hamburger Innensenator Olaf Scholz, SPD, sagte
daraufhin, Schill sei jetzt endgültig politisch übergeschnappt, fügte aber
eilig hinzu, er sei dafür Sexualstraftäter in Sicherheitsverwahrung zu geben,
wenn sie „zweimal wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt sind.“ Ole von Beust
erwiderte Schill, „die medizinische Erfahrung zeigt, dass eine Kastration
nichts bringt."
Schill hat es
mithilfe der Hamburger Springerpresse geschafft, die sogenannte Innere
Sicherheit im Wahlkampf ins Zentrum zu rücken. Er gibt die Themen und
Forderungen vor, auf die dann SPD, CDU und FDP eingehen, während die GAL
weitgehend stillhält. Bereits Ende Mai wurde der bisherige Innensenator
Hartmuth Wrocklage so zum Rücktritt gedrängt: Er hätte nicht genug hinter der
Polizei gestanden, die dortigen Führungskräfte benachteiligt, wenn sie nicht
Mitglied der SPD seien, würde nicht hart genug gegen linke Chaoten und die Drogenszene vorgehen.
"Ich bin
Senator für Law and Order", verkündete Hamburgs neuer Innensenator Olaf
Scholz (SPD) denn auch folgsam kurz nach seiner Ernennung Ende Mai.
Am 7. September
hielt Schill ihm auf einem Podium vor: „Herr Scholz hat sich nie für das Thema
Innere Sicherheit interessiert.“ Die SPD sei „verbrecherfreundlich“, ihr
Kurswechsel kurz vor der Wahl eine „Verdummung der Wähler“. Scholz reagierte,
indem er Schill aufzählte, was er schon alles für Law and Order getan hätte:
Mehr Polizei für St. Georg, mehr Einsätze gegen die Drogenszene und – der
Einsatz von Brechmitteln gegen vermeintliche Drogenverkäufer. Der Moderator
Herbert Fricke vom NDR fragte Schill danach, ob er nicht „mit der SPD koalieren
wolle“. Der verneinte entrüstet, Scholz ebenso. Die formale Abgrenzung ist umso
wicihtiger im Wahlkampf, je mehr sich die Inhalte angleichen. GAL-Parteichefin
Antje Radcke, die mit auf dem Podium sass, möchte vielleicht anders, aber sie
redete dort allgemein von Präventionsmassnahmen gegen Kriminalität: Bis Juni
war die GAL noch entschieden gegen den Einsatz von Brechmitteln, um des
Drogenhandels Verdächtige auf Polizeiwachen zum Auskotzen des gesamten
Mageninhaltes zu zwingen. Dann kam der Beschluß der rotgrünen Landesregierung
für Brechmitteleinsätze. Nun ist nicht mehr die Rede davon, dass dadurch die
Menschenwürde der Verdächtigten verletzt wird. Die GAL schweigt und ordnet sich
um der lieben Machtbeteiligung willen dem Law and Order-Kurs der SPD unter.
Einen Tag vor der Podiumsdiskussion mit Scholz, Schill, Radcke und Vertretern
von CDU und FDP hatte Springers Hamburger Abendblatt unter dem Titel
„Brechmittel-Einsatz: Der erste Erfolg“ gemeldet: „ein Kügelchen Kokain im
Erbrochenen eines Schwarzafrikaners.“ Da stört es auch nicht, dass Traore H. im
Polizeipräsidium die ganze Nacht würgte und sich noch fünfmal übergeben musste.
Innensenator Scholz dazu: Dieser Brechmitteleinsatz sei ein „Beweis für eine
angemessene und konsequente Linie im
Kampf gegen Drogendealer.“
Wo die SPD Schill
durch Fleiß bei Law and Order überflüssig machen will, versucht die CDU ein
Spagat: einerseits sich selbst als Partei der Inneren Sicherheit ins Gespräch
bringen, auf der anderen Seite Schill dadurch salonfähig zu machen, dass er
seit Monaten für keinesfalls rechtsextrem und in jedem Fall koalitionsfähig
erklärt wird. Und seine Propaganda unterstützt. Wie am 3. September auf dem
Kongress der Bundes-CDU zu innerer Sicherheit, der extra nach Hamburg gelegt
worden war. Dort behauptete Ole von Beust, Hamburg sei unter der Regierung von
SPD und GAL „zur gefährlichsten deutschen Stadt geworden“. Die Polizei brauche
„die bedingungslose Rückendeckung der Politik“. Außerdem forderte er: die
Beseitigung „rechtsfreier Räume“, „konsequente Bestrafung von
Graffiti-Straftätern“, die „sofortige Beseitigung der offenen Drogenszene“ und
vieles mehr.
Hessens Ministerpräsident Roland Koch
erklärte am 9. September der Bild am
Sonntag, Schill habe „bei vielen seiner Forderungen Recht“. Aber die
Schill-Anhänger seien „eigentlich CDU-Wähler, die wir zurückholen müssen.“ In
der CDU wird das Phänomen Schill aufmerksam verfolgt. Der Vorsitzende der
CDU-Bundestagsfraktion, Friedrich Merz erwartet aber von Schill keine
bundespolitischen Auswirkungen. Schill sei erfolgreich, weil der rotgrüne Senat
die Innere Sicherheit jahrelang vernachlässigt habe, die Situation in Hamburg
eine besondere. Bei der rotgrünen Bundesregierung wird wohl auch kein Richter
oder CDU-Politiker dem Innenminister mangelnden Eifer nachsagen können. Otto
Schily erklärte am 10. September gegenüber der Hamburger Morgenpost: „Die Sozialdemokratie ist eine Partei von Law
and Order“. So weiß Schily auch, was Hamburg braucht: „Hamburg ist ein
Sammelplatz für viele Ausländer, die illegal hier leben ... Auf meine
Initiative hat die Innenministerkonferenz eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich
um eine schnellere und konsequentere Rückführung von illegal hier lebenden
Ausländern bemüht.“
Olaf Scholz wird es
freuen: Er brüstete sich im Juni damit, dass Hamburg letztes Jahr bereits 2000
Abschiebungen durchgeführt hat.
Für SPD und GAL
wird es bei den Wahlen knapp werden, vielleicht werden die Abschiebezahlen
dieses Jahres schon von einem Innensenator Schill verkündet. Dies ist um so
wahrscheinlicher, seit die FDP sich nach langem Zögern vor zwei Wochen auf eine
Koalitionsaussage zugunsten von CDU und Schill ausgesprochen hat. Zwar ging dem
in der traditionell sozialliberalen Hamburger FDP ein längeres Hin und Her
voraus, aber jetzt wird deren Spitzenkandidat Rudolf Lange nicht müde zu
betonen, dass die FDP keineswegs eine Koalition mit SPD und GAL eingehen wolle,
sondern auf den Bürgerblock setze. Lange selbst ist bereits seit Monaten mit
persönlicher Kritik an Hamburgs SPD-Bürgermeister Ortwin Runde aufgefallen: Die
Stadt hätte einen Besseren verdient.
Das ärgert Ortwin
Runde, der erst 1997 Bürgermeister ist und in der SPD nicht unumstritten wegen
seiner linken Vergangenheit. Nach den Wahlen 1997 trat der bisherige
SPD-Bürgermeister Henning Voscherau vom rechten Parteiflügel zurück, weil die
SPD von 40 auf 36 % abgerutscht war. Zuvor hatte die SPD einen Wahlkampf unter
einem Mottos Voscheraus gemacht: „Law and Order ist ein Thema der Labour-Partei
... Wem Tonys Zitat nicht passt, der soll auch mit seine Stimme nicht geben“.
Bereits 1997 reichte der Ruf nach Ruhe und Ordnung nicht aus, um die durch den sozialdemokratischen
Sozialstaatsabbau in Hamburg verlorenen Wählerstimmen auszugleichen. Damals
reichte es dann aber noch für ein Rotgrünes Regierungsbündnis.
Diesmal findet ein
Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Rotgrün und Bürgerblock statt. Daneben hat es die
vierte in der Hamburger Bürgerschaft vertretene Parlamentsfraktion schwer:
Regenbogen – für eine neue Linke. Deren jetzige fünf Abgeordnete sind im Mai
1999 aus der GAL ausgetreten aus Protest gegen die grüne Unterstützung des
Angriffskrieges der NATO gegen Jugoslawien. Regenbogen tritt unter dem Motto
„Opposition machen wir mit Links“ zur Wahl an: „Die grüne Partei ist kein Ort
mehr für Menschen, denen eine antimilitaristische, ökologische und soziale
Politik am Herzen liegt.“ Regenbogen wird von vielen linken Gruppierungen
unterstützt. Auf ihrer Liste kandidieren auch Mitglieder der DKP, der SAV
(Sozialistische Alternative Voran) und aus der Hamburger PDS. Viele linke
Initiativen, die sich vor Ort kommunalpolitisch engagieren, unterstützen
Regenbogen. Regenbogen ist die einzige Liste, deren Leute massiv die
Rechtswende der Hamburger Politik hin zu noch mehr Law and Order kritisieren.
Auf einem ihrer Wahlplakate bringen sie die Angleichung von Rotgrün und
Bürgerblock auf diesem Politikfeld auf den Punkt: „Schilz oder Scholl?“
Neben Regenbogen
kandidiert auch noch die Hamburger PDS: Deren Kandidatur hat aber kaum etwas
damit zu tun, die Hamburger Verhältnisse zu kritisieren. Im wesentlichen geht
es einer Gruppe innerhalb der Hamburger PDS um einen Alleinvertretungsanspruch
darauf, was sie für linke Opposition halten, wobei sie ignorieren, dass die PDS
mehrheitlich eine sozialdemokratische Partei ist. So möchten sie gegenüber der
Bundesspitze der PDS eine möglichst große linke Opposition in der Partei darstellen
und dafür möglichst viele Ämter anhäufen. Sicher hat die Bundesspitze der PDS
viel Kritik verdient. Aber in Hamburg wird stattdessen ein Kleinkrieg gegen
andere PDS-Mitglieder ausgetragen, auch vor Gericht: Prozessiert wird darum,
welcher der beiden Landesvorstände der rechtmässige ist. Richter Gnadenlos wird
das schnuppe sein. Gregor Gysi macht derweil Wahlkampf für Regenbogen:
Regenbogen werde „zunächst als
oppositionelle Linke sein Profil suchen“, wie er der taz hamburg im Interview erklärte. Auf die Nachfrage, was wäre,
wenn Regenbogen zusammen mit GAL und SPD eine Mehrheit erreichen sollte, konnte
er sich einen realpolitischen Ratschlag nicht verkneifen: „Das wäre eine
komplizierte Situation. In der wir neu nachdenken müssten...“ Die Spitzenkandidatin
vom Regenbogen dagegen schließt eine Koalition mit SPD und GAL kategorisch aus.
Es wird spannend in Hamburg.
Ob Rotgrün oder der
rechte „Bürgerblock“ gewinnt ist offen. Es wird es darauf ankommen, ob es
Bürgermeister Runde und Innensenator Scholz in den Tagen vor der Wahl gelingt,
die Entdeckung, dass zwei ehemalige Hamburger Studenten an den Attentaten in
den USA beteiligt waren, staatsmännisch zu bewältigen, oder ob die Ereignisse
als ein weiterer Beleg für die Unfähigkeit der SPD interpretiert werden, die
Innere Sicherheit der Stadt zu gewährleisten.