Der Nationalismus in der deutschen Kurdistan-Solidarität
von gruppe demontage, Februar 2000
In ihrem Beitrag zur antinationalen Kritik an der
Kurdistan-Solidarität (iz3w 242) bezieht sich Sabine Skubsch positiv auf Fanons
Konzept der Schaffung einer algerischen Nation im antikolonialen
Befreiungskampf gegen Ethnisierung und "Tribalismus". (Hier findet
sich ihr einziges Zugeständnis an antinationale Kritik: Dass bei der
Homogenisierung zur Nation die sozialen Widersprüche verwischt werden.) Auch
die PKK bekämpfe den Feudalismus in Türkei-Kurdistan mit der Idee der
kurdischen Nation. Die von Skubsch in Bezug auf Fanon benutzte Entgegensetzung
von "Tribalismus" (= zurückgebliebene Stämme) und fortschrittlichen
Nationen ist aber eine evolutionistische Denkweise, die gemeinhin der
modernisierungstheoretischen Legitimation der kapitalistischen Metropolen
dient. Wenn sich in den 50ern Fanon und in den 90ern die PKK auf eine derartige
Vorstellung von nachholender Entwicklung beziehen, können wir darin nichts
befreiendes erkennen. So berechtigt das Anliegen, eine eigene Nation zu
kreieren, im kapitalistischen Wettbewerb sein mag, so wenig bricht dies mit der
Logik bürgerlicher Herrschaftsformen.
Skubsch wirft uns vor, als Metropolenlinke
"unsensibel" zu sein für sozialen Wandel anderswo. Sie verweist auf
die Verteidigungsrede von Öcalan vor Gericht: Er würde dort
kurdisch-nationalistischen Standpunkten eine schroffe Absage erteilen,
behauptet Skubsch. Bleiben wir mal sensibel bei besagter Rede. Öcalan empfahl
darin der PKK die Anpassung an die Verhältnisse: "Anstatt die neue
Weltordnung, die im wesentlichen von den USA geprägt ist, zu bekämpfen, ist es
realistischer, innerhalb dieses Systems einen politischen Kampf zu führen."
Die Rede wurde auf dem außerordentlichen Kongreß der PKK prompt als neues
Manifest der Partei angenommen. In seiner neuen Verteidigungsrede vom 21.10.99
propagiert Öcalan die Verbindung der bekannten Volksrethorik mit einem starken
Staat: "Beispiele dafür, daß ein starker Staat realisiert werden kann,
indem die größte Freiheit und Gleichheit der unterschiedlichsten freien
Gedanken, Überzeugungen und Kulturen richtig praktiziert wird, sind ... die
USA." Öcalans Darstellung der USA als "Gemeinschaft von
Nationen" dokumentiert seinen Abschied selbst vom plattesten
Antiimperialismus.
Die PKK ist auf dem Weg hin zu einer regionalistischen
Ethno-Lobby. Bei der Transformation von einer Guerrilla zur Partei trennt sie
sich weder von ihrer volkstümelnden Programmatik noch von ihrem Personenkult.
Was über Bord geht, ist der Rest an antikolonialer Rebellion, den die PKK für
viele als KurdInnen diskriminierte noch bedeutet hat. Früher stellte die PKK
den Kemalismus, die nationalchauvinistische Staatsdoktrin der Türkei, in Frage.
Aber der Antikemalismus der PKK, der auch für den Bruch der türkischen Linken
mit der nationalen Staatsdoktrin wichtig war, ist Geschichte. So erklärte
Öcalan bereits in seinem ersten Prozeß am 31. Mai: "Die Kurden können
ihren Platz in einer demokratischen Republik finden." Denn: "Hier
gibt es politische Freiheit ... Das einzige Problem sind Sprache und kulturelle
Identität." Und der PKK-Präsidialrat sorgt dafür, dass alle Äußerungen
Öcalans von der gesamten PKK mitvertreten werden müssen. Osman Öcalan, Bruder
des Chefs und Mitglied des PKK-Präsidialrates, erklärte Ende Oktober: "Ein
Wort von ihm genügt, damit wir eine Entscheidung treffen. Als ich sagte, dass
die Freiheit unsere Religion ist und der Vorsitzende unser Prophet, habe ich
das nicht umsonst gesagt".
Der "Kurdistan-Rundbrief", ein Organ aus der
Solidaritätsbewegung, druckte das zitierte Interview zusammen mit einer
vorsichtigen Kritik ab. Diese wurde aus der Soliszene zurückgewiesen. Der
"Kurdistan-Rundbrief" dazu in seiner nächsten Ausgabe:
"Insgesamt richtete sich die Kritik dagegen, dass im Kurdistan-Rundbrief
kritische Bemerkungen über die Politik der PKK gemacht werden." Auch die
PKK selbst duldet keine Kritik in ihrem Umfeld: Mehrere frühere
PKK-Funktionäre, die den neuen Kurs als Verrat an der nationalen Befreiung
kritisieren, wurden in der BRD zusammengeschlagen, beschimpft und bedroht –zum
Beispiel Selahattin Celik, Sükrü Gülmüs und Nejdat Buldan. Auch vor Kontakt zu
ihnen wurde gewarnt. Es gibt zuwenig Kritik an dieser Unterdrückung von offener
Diskussion unter kurdischen Nationalisten. Hat die Mehrheit der
Kurdistan-Solidarität mit der autoritären, hierarchischen Ausrichtung der PKK
auf eine Leitfigur überhaupt keine Probleme?
Solidarität mit MigrantInnen
Skubsch baut ein Bild von MigrantInnen auf, das diese in ein
Stereotyp presst: "Aber MigrantInnen, ... die meinen, ihre Würde nur in
einem verzweifelten Festhalten an alten Traditionen erhalten zu können, eignen
sich nicht für romantische Projektionen." Skubsch geht anscheinend davon
aus, es gäbe statische alte Traditionen, an welchen sich "die"
MigrantInnen aus Türkisch-Kurdistan verzweifelt festhalten. Dieses Bild hat
wenig mit der Vielfalt von Lebensentwürfen und Identitäten unter MigrantInnen
gemein. Gerade die fliessenden Übergänge, die es für MigrantInnen der zweiten
und dritten Generation gibt, lassen sich mit Zuordnung zu vermeintlich
althergebrachten Traditionen nicht fassen. Dass es vielfach eindeutig national
aufgeladene Selbstzuschreibungen gibt, hängt mehr mit aktuellen sozialen
Prozessen zusammen als mit alten Überlieferungen. Die gegenwärtige Kurdisierung
und Türkisierung unter MigrantInnen aus der Türkei liegt wesentlich an der
rassistischen Ausgrenzung seitens der deutschen Dominanzgesellschaft. Gerade
Kinder und Jugendliche suchen sich eine Identität, mit der sie meinen, sich
trotzig gegen die alltägliche Ausgrenzung behaupten zu können. Goldkettchen mit
türkischen Nationalsymbolen wie dem Halbmond oder der Fahne sind hier ebenso
Ausdruck wie Halstücher in den kurdischen Farben und die weitverbreitete
Verehrung für Apo.
Zudem hat die Repression der BRD gegenüber der PKK massiv
zur Kurdisierung beigetragen: Die meisten - über 100 - politischen Gefangenen
in der BRD kommen aus der Bewegung um die PKK. Tausende Verfahren laufen wegen
Unterstützung der PKK. Die PKK mit ihrem Personenkult und ihrer ausgeprägten
Neigung zu Märtyreraktionen bis hin zu den Selbstverbrennungen bot den
bürgerlichen Medien die Gelegenheit, aus den bewährten Feindbildern
"kommunistische Unterwanderung" und "kriminelle Südländer"
das Bild von "den Kurden" zu mixen. Die staatliche und
gesellschaftliche Repression hat die Kurdisierung bzw. Ethnisierung von
Menschen aus der Türkei in der BRD wesentlich verstärkt. Gegen diese Repression
und gegen Ausgrenzung anzugehen, ist für uns die wichtigste Form der
Solidarität und beinhaltet zugleich eine Demontage metropolitanen Denkens.
Ein weiteres zur Beschwörung nationaler und kultureller
Identität unter MigrantInnen hat der brutale Krieg der türkischen Armee in den
Aufstandsprovinzen bewirkt: In den Dörfern in Türkisch-Kurdistan gab es kaum
eine Möglichkeit, sich nicht zwischen Armee und Guerrilla, zwischen
"kurdisch" oder türkisch" entscheiden zu müssen. In der
Bundesrepublik erfolgt eine Kurdisierung dann durch die Erzählungen über
Kriegsgräuel und Repression. Insbesondere in der zweiten Generation entdecken
MigrantInnen ihr Kurdisch-Sein. Oft sprechen die Eltern weder kurdisch noch
pflegen sie "alte Traditionen". Aber ihre Kinder nehmen zum Teil die
Option wahr, jemand zu sein - als KurdInnen. Viele Aktive im kurdischen
Studierendenverband YXK glauben ein kurdisches Volk und dessen Verwurzelung in
der Heimaterde, obwohl sie selbst in der BRD aufgewachsen sind. So richtig es
ist, dass für das Selbstbild vieler Flüchtlinge die Kriegserfahrungen und die
PKK eine große Rolle spielen, so wichtig ist es, daran zu erinnern, dass der
Großteil der Menschen aus der Türkei, die in der BRD leben, schon lange vor dem
Krieg zwischen PKK und türkischer Armee, der am 15. 8. 1984 begann,
einwanderte.
Irgendeine Verallgemeinerung über Migrantinnen aus
Türkisch-Kurdistan hilft da nicht weiter. Dennoch hat die Kurdistan-Solidarität
sich nicht von dem Bild nationaler und ethnisierter Sortierung gelöst, dass in
Deutschland vorherrschend ist. Vielmehr versucht sie an die positiv besetzten
Begriffe von alten Völkern und Traditionen anzuknüpfen. So wird in dem Film
"Kurdistan – Der verdrängte Krieg", den Michael Enger mit
Unterstützung aus der Soli-Szene 1997 drehte, zu Bildern von mesopotamischen
Felsskulpturen erklärt, dass "die Kurden" wohl das älteste Volk der
Welt seien. Und auf dem Faltblatt "Freiheit für Abdullah Öcalan" der
´Internationalen Initiative Frieden in Kurdistan´ aus Bonn vom Sommer 99 prangt
nicht nur vorne ein Öcalan-Bild - der erste Satz im Text lautet: "Die
Kurden sind das größte und älteste Volk auf der Erde, dem sein Recht auf
Selbstbestimmung vorenthalten wird." Auch auf Plakaten des ´Roten
Aufbruch´ (Hamburg `98) stand neben einem Foto von Öcalan: "Die PKK kämpft
für die Interessen des kurdischen Volkes und perspektivisch für eine
sozialistische Gesellschaft." Die erste Forderung lautete:
"Unterstützt das kurdische Volk!"
Kosmopolitische Solidarität
Um gegen die Militärdemokratur in der Türkei zu protestieren
oder zu kämpfen, ist jedoch kein kurdisches Volk als Legitimation nötig. Um
gegen die Ausgrenzung von Menschen aus der Türkei und anderswo in der BRD
anzugehen, brauche ich weder alte Traditionen, noch ein kurdisches Volk, noch
ein Bündnis mit der PKK. Beidemale geht es um antiherrschaftliche Politik:
Gegen Unterdrückung und Ausbeutung zu sein, ist etwas anderes, als für ein
Volk.
Wer von Identität als positiver Kategorie spricht und von
einem "Selbstbestimmungsrecht der Völker" ausgeht, untergräbt die
Grundlage des Antirassismus. Ein Bezug auf "Scholle/Heimat" und
"Volk" führt direkt zum Dogma "jeder an seinen Platz". Das
Begriffspaar "Verwurzelte – Vertriebene" steht den Interessen
eingewanderter/geflüchteter Menschen entgegen. Öcalan selbst hat den Rassismus
gegen kurdische Flüchtlinge in Deutschland bereits früher mit der illegalen
Flucht dieser Menschen aus ihrer "Heimat" gerechtfertigt und sich
entschuldigt, dass Kurden mit ihren Aktionen "die Gefühle des deutschen
Volkes verletzt" hätten. Solange sich PKK wie Solibewegung weiterhin auf
Kategorien wie Volk und Ethnie beziehen und antirassistische Ansätze nicht zu
einem wichtigen Bestandteil ihrer Politik machen, ist eine umfassende Befreiung
jenseits von nationalen Identitätszuschreibungen nicht möglich.
Um gegen Unterdrückung anzugehen, müssen bürgerliche
Ideologien und Selbstzuschreibungen von jeweilig Betroffenen nicht übernommen
werden - auch in Bündnissen nicht. Für eine emanzipatorische Bewegung ist es
vielmehr existenzielle Voraussetzung, die Hoffnung auf eine größere Breite der
Bewegung nicht mit der Hinnahme von Herrschaftsverhältnissen zu erkaufen. Diese
Debatte um kritische Solidarität ist nicht neu. Für uns heißt kritische
Solidarität auch, den eigenen sozialen Ort und Privilegien mitzudenken. So geht
es uns nicht - wie Skubsch uns vorwirft - darum, die Ideale einer vermeintlich
wertfreien Aufklärung zu exportieren und zum alleinigen Maßstab zu machen.
Vielmehr sind wir uns gerade dessen bewusst, dass die Konzepte von Nation und
Staatsvolk von Europa aus zusammen mit dem kapitalistischen Weltmarkt
gewalttätig allerorten durchgesetzt wurden. Gegen metropolitanes Denken
einzutreten, heißt deshalb, nicht weiterhin weltweit Menschen in Nationen und
Völker einzuteilen. Denn dies macht sie zu Objekten - von Solidarität wie
Herrschaft.