Autoritäre Formierung

 

Von der sozialen Sicherheit zur Sicherheit im Polizeistaat

 

 

Vier Episoden aus der Jetztzeit zeigen deutlich, wohin die gesellschaftliche Reise gerade geht:

Ein BGS-Beamter verteidigt auf einem Hamburger S-Bahnhof in seiner Freizeit einen Obdachlosen, der von einer Gruppe Jugendlicher angegriffen wird. Die Jugendlichen nehmen den BGSler in die Mangel und verletzen ihn lebensgefährlich mit Messerstichen. Im Unterschied zu den U-Bahnhöfen werden die S-Bahnsteige nur kameraüberwacht, während die Züge einfahren. Am nächsten Tag fordern alle Hamburger Parteien, von der GAL bis zur CDU, dass auch auf den S-Bahnhöfen eine lückenlose Kameraüberwachung und Speicherung der Aufnahmen eingesetzt wird.

       Seit der Schwarz-Schill-Regierung in Hamburg im Herbst 2001 werden linksradikale Demos, zuletzt die gegen die Privatisierung des Schanzenparks massiv durch die Polizei eingeschränkt. Spaliere in Form von Wanderkesseln (teilweise in doppelten Bullenreihen) sind die Regel, teilweise wird nur eine Demobreite von vier Leuten erlaubt, vermeintliche Verstöße gegen das Versammlungsrecht (z.B. wegen Vermummung oder Seitentransparenten) werden dazu genutzt, die Demos willkürlich anzugreifen oder aufzulösen. Zum 1. Mai gab es in Hamburg eine EuroMayDay Parade, die von einem relativ breiten Bündnis aus linken GewerkschafterInnen, Studis, Autonomen bis zu MigrantInnengruppen getragen wurde. Wahrscheinlich aufgrund der Größe, der partiellen Gewerkschaftsnähe bzw. der politischen Breite, begleiteten die Bullen die Demo in ihren Wannen nur am Anfang und am Ende. Im Anschluss an den EuroMayDay gab es aus dem Schanzenviertel heraus noch eine linksradikale 1. Mai Demo. Und diese wurde massiv von den Bullen behindert.

       In der Fußgängerzone des Hamburger Stadtteils Ottensen gibt es seit 25 Jahren eine Punkerszene, die heute in Teilen von einem lokalen Bauwagenplatz stammt. Seit Ende März machen die Bullen auf alle Jagd, die für Punker gehalten werden. Die Leute werden ohne jeden Anlass nur nach ihrem Äußeren verhaftet und es werden massiv Platzverweise ausgesprochen. Als Begründung dienen angebliche Beschwerden von Gewerbetreibenden. Das Vorgehen der Polizei war so maßlos, dass auf einem bürgerlichen Stadtteilfest der Auftritt einer Punkband verboten wurde und das Anspielen eines Punk-Stücks zu einem Angriff der Bullen führte. Die Punks reagierten an darauffolgenden Wochenenden mit einer breiteren Mobilisierung ihrerseits und warben auch für Unterstützung im alternativen Milieu.   

In diesem Sommersemester werden an der Hamburger Uni diverse Aktionen gegen die Einführung von Studiengebühren durchgeführt. In diesem Zusammenhang wollte der AStA im Univiertel eine Demo für mehrere hundert Leute anmelden. Die Innenbehörde genehmigte die Demo nicht und gab als Begründung an, dass zeitgleich in der Innenstadt eine Demo gegen die geplante Massenabschiebung von Menschen aus Afghanistan stattfinden und sie somit über keine weiteren Kapazitäten verfügen würde. Als sich die Studidemo dann doch formierte, wurde diese von einem Überaufgebot von Bullen erst auf den Gehsteig gedrängt und nach kurzer Zeit auf den Uni-Campus geprügelt. Am darauffolgenden Tag  beklagten sich Gewerkschaftsvertreter der Polizei, dass ihre Kollegen insgesamt zu viel eingesetzt werden würden und die Überstunden nicht abgebummelt werden können.

Soweit einige Szenen aus dem repressiven Polizeialltag in Hamburg und dem diesen begleitenden Sicherheitsdiskurs. Eine möglichst lückenlose Überwachung und Kontrolle des öffentlichen Raumes wird nicht nur von allen im Parlament vertretenen Parteien gefordert, sondern auch von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen. Denn wer nichts zu verbergen habe, über den/die könne auch gespeichert werden, wo er/sie sich aufgehalten habe.


Zermürbung

 

Die Zermürbungstaktik der Bullen gegenüber linksradikalen Demos zeigt Wirkung. Nicht nur gewinnt die Linke zur Zeit auch an sich keine größere Breite. Die meisten sind ratlos, wie den Angriffen begegnet werden könnte. Versuche, andere Demonstrationskonzepte zu diskutieren, welche die Bullen ins Leere laufen lassen, indem z.B. auf Spontaneität und Dezentralität gesetzt wird, finden kaum Anklang. Die Folge ist, dass herkömmliche linksradikale Demos zur Zeit wenig Perspektiven bieten und sich wahrscheinlich noch mehr Leute aus einem aktiven politischen Alltag zurückziehen werden. Nur wenn, wie es den Punks teilweise gelungen ist, die Repressionsstrategie durch eine größere Anzahl von AktivistInnen, gesellschaftliche Breite und „subversive“ Aktionsformen unterlaufen wird, kann dem Vorgehen der Polizei etwas entgegengesetzt werden.

Das Demoverbot gegenüber den Studis aus angeblichen Kapazitätsgründen (grundsätzlich ist das Demonstrationsrecht durch die Polizei imer zu gewährleisten) oder die systematische Vertreibung nach dem äußeren Erscheinungsbild sind schlicht rechtswidrig, genauso wie permanente Wanderkessel auf linken Demos, ohne dass es zu Angriffen aus der Demo kommt, die damit beantwortet werden könnten. Dieses Vorgehen der Polizeiführung ist insgesamt eine bewusst kalkulierte Einschüchterungs-, Abnutzungs- und Säuberungsstrategie und wird von der politischen Führung in der Innenbehörde und im Senat mitgetragen.

       Mit dem neuen Hamburgischen Polizeigesetz, das gerade in der parlamentarischen Beratung ist, soll der Spielraum dessen, was für die Polizei legal ist, weiter ausgedehnt werden. Laut Innensenator Nagel wird es das schärfste der Republik. Mit dem neuen Gesetz werden der Polizei einschneidende Handlungsmöglichkeiten gewährt: einjährige Aufenthaltsverbote, 14-tägige Präventivhaft, verdachtsunabhängige Kontrollen, polizeilicher Todesschuss, die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen, automatische Kfz-Kennzeichen-Lesesysteme und präventive Rasterfahndungen. Wie schon jetzt kann davon ausgegangen werden, dass das, was die Polizei real tun wird, über den dann legalen Rahmen hinausgehen wird. Was soll sie daran hindern, linke Aktivisten 14 Tage einzusperren, diese für einen kurzen Augenblick formal freizulassen und sofort wieder einzusperren. Oder wie wäre es mit der Kombination von verdachtsunabhängigen Kontrollen und groß angelegten Aufenthaltsverboten bzw. der Präventivhaft. Insgesamt gilt, Quantität und Qualität der Einsätze werden nur durch die Kapazität der Polizei bestimmt und durch deren Bemühen, die richtige Mischung aus Abschreckung und allgemeiner Akzeptanz in der Unterdrückung unliebsamer gesellschaftlicher Erscheinungen zu finden.

Insgesamt stehen die neuen Eingriffsmöglichkeiten dafür, dem polizeilichen Handeln außerhalb eines gerichtlichen Strafverfahrens eine eigenständige strafende Qualität zu geben, die sich deutlich vom bisherigen Polizeiauftrag, konkrete Straftaten zu verhindern oder zu verfolgen, absetzt. Bei der vorsorglichen Rasterfahndung, permanenten und anlassfreien Kfz-Zeichen-Überwachung, Kontrollen ohne Verdachtsmomente und der 14-tägigen Polizeihaft gibt es keinen Bezug mehr zum klassischen Polizeiauftrag. Für die Polizei werden Kontrollsysteme aufgebaut, die permanent und teilweise automatisiert die gesamte Gesellschaft ohne konkreten Anfangsverdacht überwachen. Parallel dazu wird die Polizeihaft eingesetzt werden, um nur potentiell mögliche Straftaten auszuschließen und um unbotmäßiges Verhalten abzustrafen. Gleichzeitig werden insbesondere auf Bundesebene die geheimdienstlichen Ermittlungs-methoden (Telefon- und Raumüberwachung, Einsatz verdeckter Ermittler) und die institutionalisierte Zusammenarbeit der Länder- und Bundespolizeien sowie der eigentlichen Geheimdienste kontinuierlich ausgebaut (das Verbot einer Geheimen Staatspolizei resultierte aus den Erfahrungen mit dem NS-Regime).

Die staatlichen Repressionsorgane gewinnen damit im gesellschaftlichen Alltag eine zunehmende Omnipotenz, indem ihnen immer weniger Grenzen für an sich eingriffsfreie Sphären gesetzt werden. Diese Allumfassendheit gewinnt schon aus sich heraus, unabhängig von der Art ihrer Anwendung, eine autoritäre Struktur, weil die staatliche Exekutive nicht nur Vorrang vor den Restrechten der BürgerInnen hat, sondern auch, weil die Exekutive durch die Entrechtlichung und ihren unmittelbar strafenden Charakter noch unabhängiger und unkontrollierbarer von Parlamenten und Gerichten wird. Die Gerichte nehmen den Zeitgeist ihrerseits auf, indem sie bei Straftaten zunehmend härter urteilen, insbesondere wenn es sich um einfache Eigentumsdelikte der „Unterklasse“, wie Diebstahl oder Raub, handelt, während Finanzdelikte weiterhin nur mit Geldstrafen geahndet werden.

Diese Entwicklung ist nicht vom Himmel gefallen. Ihre Geschichte kann auf zwei Ebenen betrachtet werden, der konkreten Entwicklung der Polizeipolitik und der gesellschaftlichen Grundströmungen, auf denen diese beruht.

 

Repressionswellen

 

Im polizeilichen Handeln in Hamburg der letzten 20 Jahre kann ein Wechselspiel mit den sozialen Bewegungen und daraus teilweise abgeleitet auch ein Auf und Ab der Härte und des Grades der Rechtswidrigkeit der Einsätze ausgemacht werden. In den Auseinandersetzungen um das AKW Brokdorf nach dem GAU von Tschernobyl und den Hamburger Kessel 1986 setzte die damalige SPD-Polizeiführung aus Hamburg nicht nur auf Härte im Einsatz, sondern auch auf selbsterklärt rechtswidrige Mittel wie das Zerstören von Autos von DemonstrantInnen (Brokdorf) oder das stundenlange Festhalten im Kessel .

In den Auseinandersetzungen um die Hafenstraße agierte die Polizei ähnlich. Ohne rechtliche Handhabe wurden von 1984 bis 1987 die Häuser wiederholt verwüstet und durchsucht und die Hafenstraße auch über 1987 hinaus der angeblichen Unterstützung der RAF (Rote Armee Fraktion) bezichtigt. Diese Situation hielt gegen den zunehmenden Widerstand der BewohnerInnen und ihrer UnterstützerInnen an, bis Bürgermeister Dohnanyi während der Barrikadentage im November 1987 gegen die Polizeiführung Verträge mit den Häusern annahm. Bis 1993/94 versuchte die Polizei weiterhin durch wiederholte Eskalation und Provokationen, die Situation doch noch zu kippen. Mit diesen Eskalationsversuchen handelte die Polizeiführung teilweise eigenmächtig gegen die politische Führung, genauso wie sie in einigen späteren Situationen versuchte, durch Nichtstun bei linker Militanz einen politischen Skandal zu inszenieren.

1994 kam es zum sogenannten Hamburger Polizeiskandal: Einsatzgruppen der Polizei und einzelnen Polizeiwachen wurde vorgeworfen, systematisch MigrantInnen, insbes. angebliche Drogendealer zu misshandeln und Linke und mißliebige JournalistInnen u.a. gezielt bei Demonstrationen anzugreifen. Diesen Entwicklungen war die Bildung von besonderen Einsatzzügen Mitte und speziellen Polizei-Schichten in St. Pauli, Altona, Mitte und St. Georg vorausgegangen, welche die Aufgabe hatten, in einem „kleinen Bürgerkrieg“ von oben, Linke oder MigrantInnen dauerhaft und massiv zu bekämpfen. Diese systematische Repressionsstrategie in der ersten Hälfte der neunziger Jahre stand im Gegensatz (bzw. war eine Erweiterung) zur zweiten Hälfte der achtziger Jahre, in der die Polizeiführung eher projekt- und anlassbezogen (z.B. bei Hausbesetzungen, Großdemonstrationen) als systematisch und flächendeckend agierte. Der systematischere Ansatz war im Kern auch eine Antwort auf die Erfolge der Linken in der militanten Durchsetzung von mehreren Hausprojekten und der Roten Flora im Schanzenviertel.

Im Zuge des Polizeiskandals musste der damalige Innensenator Hackmann und ein Teil der Polizeiführung abtreten. Einige Polizeieinheiten der Innenstadtwachen und die zwei geschlossenen Einsatzzüge Mitte wurden von ihren Funktionen suspendiert. Die funktionale Suspendierung der beiden Einsatzzüge wurde jedoch nach dem Abklingen des Skandals wieder aufgehoben. Die besonderen Einheiten auf den Polizeiwachen wurden bald unter neuem Namen und teilweise nach anderen Organisationsansätzen (z.B. mehr Rotation des Personals) wieder aufgebaut. In den Jahren von 1995 bis 2001 (Regierungsübernahme durch die Bürgermeister Beust und Schill) hingegen hatte die Linke weitergehende Aktions- und Handlungsspielräume als zuvor. Auf Demos wendeten die Bullen häufig Deeskalationsstrategien an. 1994 sah sich auch zuletzt ein Hamburger Innensenator genötigt, mit den militanten VerteidigerInnen des Bauwagenplatzes Bambule im Karolinenviertel zu verhandeln, die Polizeikräfte zurückzuziehen und den Platz bis zum Ende der SPD-Herrschaft nicht mehr infrage zu stellen. Gleichzeitig leitete der polizeiliche Staatsschutz auch keine spektakulären Terrorismusprozesse nach § 129 a StGB mehr ein, wie es noch mit abnehmender Tendenz bis Mitte der neunziger Jahre üblich war. In den achtziger Jahren wurde häufig wegen einer angeblichen Unterstützung oder Werbung für die Rote Armee Fraktion (RAF) ermittelt, danach konzentrierte sich die Ermittlungstätigkeit nur noch auf autonome Strukturen (insbes. das Radikal-Verfahren).

Diese relative Ruhephase für die radikale Linke in Hamburg fiel in eine Zeit zunehmender eigener Schwäche und Auflösung von Organisationsansätzen und Handlungsperspektiven. Ab 1997 machte sich jedoch auch wieder ein bekannter Handlungsstrang der Polizei bemerkbar. Die Drogenszene und vermeintlich drogendealende MigrantInnen wurden erst systematisch vom Hauptbahnhof und dann aus dem Schanzenviertel vertrieben. Dies ging einher mit entsprechend rassistischen Diskursen von Politikern und aus der lokalen Bevölkerung. Gesellschaftlich war der polizeiliche Sicherheitsdiskurs anscheinend schon so weitgehend durchgesetzt, dass auch die Ablösung des damaligen SPD-Innensenators Wrocklage durch einen repressiver agierenderen Innensenator Scholz (dieser führte u.a. Brechmittel gegen vermeintliche Drogendealer ein) nicht mehr ausreichte, den Wahlsieg von Schill zu verhindern, der gänzlich auf die repressive und rassistische Karte setzte.

Was danach kam, ist bekannt: Die Vertreibungspolitik wurde von Schill forciert und ausgeweitet, er suchte und fand die Auseinandersetzung mit der Bambule(Bauwagen)bewegung und seine Polizei knüppelte selbst SchülerInnendemos zusammen. Der von Schill aus München importierte Polizeipräsident Nagel setzt nach Beerbung Schills Posten, nun eben als Innensenator, konsequent die gemeinsame harte Linie fort. Nagel hat die ausgesprochene Absicht, in Hamburg die gleiche Konformität und Friedhofsruhe durchzusetzen wie in München. Alles, was das bürgerliche Erscheinungsbild durchbrechen könnte, oder sich der repressiven sozialen und polizeilichen Politik entgegenstellt, soll erst weggeräumt und dann selbst im Ansatz nicht mehr entstehen können. Dabei betreibt er insgesamt einen Wettbewerb um die schärfste Innenpolitik, z.B. auch mit dem Versuch, als erstes Bundesland Massenabschiebungen nach Afghanistan durchzuführen.

 

Hegemonie des Sicherheitsdiskurses

 

Für Hamburg ist eine Abwahl des jetzigen Senats auf längere Sicht nicht absehbar. Gestützt auf den präsidialen, scheinbar ausgleichenden Stil von Bürgermeister Beust, das Monopol der Springerpresse und die Schwäche der SPD (die kaum über grundsätzliche Alternativen zum autoritären Wettbewerbsstaat verfügt, s. u.), wird die CDU ihre derzeitige politische Ausrichtung für einen langen Zeitraum vertiefen und fortentwickeln können. Auf Bundesebene zeichnet sich das gleiche Bild ab. Minister Schily macht grundsätzlich die gleiche Innenpolitik, wie sie auch die  Hardliner aus der bayrischen CSU durchsetzen würden Das, was SPD und Grünen jetzt noch in ihrer Gesamtheit an innerer Überzeugung für eine durchgängig autoritäre Politik fehlt, wird unter einer ab Herbst voraussichtlich regierenden CDU-Mehrheit eine neue Stufe der Hegemonie erreichen. Die dann herrschenden politischen Akteure und die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung werden über Klassengrenzen hinweg die autoritäre Formierung begrüßen, mittragen und ausbauen. Eine solche Konstellation wird innenpolitisch mit der „formierten Gesellschaft“ des Adenauer-Regimes vergleichbar sein. Ein antagonistischer Widerspruch zur gesellschaftlichen Verfasstheit wird, wie schon jetzt, immer weniger gedacht, geschweige denn praktiziert werden.

In unserem Text „Rechtspopulismus in Hamburg“ von Oktober 2002 (www.gruppe-commode.org bzw. www.demontage.org) analysierten wir, dass sowohl Rot-Grün wie Schwarz-Schill im Kern die gleiche Strukturpolitik verfolgen: Nämlich eine auf internationale Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtete Wirtschaftspolitik, in der die sozialstaatliche Absicherung und Integration zunehmend durch eine autoritäre Formierung ersetzt wird. Das Kapital besitzt dabei ein unmittelbar gesellschaftlich prägendes Moment, indem es durch die Monopolisierung der Produktionsmittel als Privateigentum die Aufhebung der strukturellen Arbeitslosigkeit verhindert. Mit den Arbeitslosen ist eine soziale Klasse der Überflüssigen entstanden, die auf der Basis der allgemeinen Ökonomisierung und Privatisierung der gesellschaftlichen Beziehungen den Ausgangspunkt für die soziale Repression bildet.

Auf Bundesebene hat die Rot-Grüne Regierung mit dem Zwang von Arbeitslosen  in das Arbeitslosengeld II auf Sozialhilfeniveau und dem Zwang aller Arbeitslosen in Ein-Euro-Jobs  (Hartz IV), den Systemwechsel vom fordistischen Sozialstaat mit gesicherten Sozialansprüchen zur sozialen Repression vollzogen. Unterschiede bestehen zur CDU/FDP nur noch hinsichtlich der Frage, ob teilweise noch flankierend Elemente sozialstaatlicher Integration zum Tragen kommen sollen. Von einer CDU/FDP Bundesregierung ist eine noch schnellere und weitgehendere Zerschlagung des Systems der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, der betrieblichen Mitbestimmung und der Reste des gewerkschaftlichen Einflusses zu erwarten.

In „Rechtspopulismus“ hatten wir eine autoritäre Formierung an zwei Punkten festgemacht. Zum einen steht der Staat nicht mehr für die Verwirklichung einer liberalen Demokratie, d.h. die Verwirklichung formaler bürgerlicher Freiheitsrechte. Sondern die gesamtgesellschaftliche Regulierung wird zunehmend durch eine starke staatliche Exekutivgewalt ausgeübt. Die Verschärfungen im Polizeigesetz, welche voraussichtlich nicht die letzten bleiben werden, sind Ausdruck dieser Entwicklung. Zum zweiten handelt es sich bei dieser Entwicklung nicht nur um die Herausbildung eines Sicherheitsstaates mit polizeistaatlichen Elementen, sondern sie wird auch von einem breiten gesellschaftlichen Sicherheitsdiskurs getragen. In diesem wird der Begriff der sozialen Sicherheit bzw. der sozialen Risiken zunehmend durch den der polizeilichen Sicherheit und Ordnung ersetzt. Der Sicherheitsstaat ist somit in eine Sicherheitsgesellschaft eingebettet.

 

Neues Regulationsregime

 

Vor drei Jahren fragten wir uns noch, ob sich eine „schwer umkehrbare Tendenz“ in Richtung einer autoritären Formierung abzeichnen würde. Dies lässt sich jetzt eindeutig beantworten: Es ist insgesamt davon auszugehen, dass sich als neues Regulationsregime eine autoritäre Wettbewerbsformierung durchsetzt und diese den Sozialstaat fordistischer Prägung abgelöst hat. Bisher sprechen die meisten Indizien für ein auf mittlere Sicht relativ stabiles Regime (vorbehaltlich der weiter unten diskutierten Krisen- und Widerstandszenarien). Denn die Praktiken und Diskurse zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit bzw. Konkurrenz und der sozialen und polizeilichen Repression verschmelzen zu einem neuen hegemonialen System. Von den unteren Segmenten der Gesellschaft wird die polizeiliche Sicherheit als Schutz gegen die kapitalistische Internationalisierung imaginiert, d.h. gegen Arbeitsmigration, Schwarzarbeit, Drogenbanden und islamistischen Terrorismus. In Teilen der ArbeiterInnenklasse wird die soziale Repression durch Hartz IV auch als innerstaatlicher Verteilungskampf gegen vermeintliche Sozialschmarotzer angesehen. Die besitzende Klasse wiederum setzt auf den Sicherheitsstaat, um bei der wachsenden Spaltung zwischen Arm und Reich, die „gefährlichen“, weil verarmten Klassen, im Zaum halten zu können.

Insgesamt, d.h. klassenübergreifend, herrscht die Sichtweise vor, dass gesellschaftliche Probleme nicht mehr als strukturell zu lösen gelten, sondern durch Bestrafung, Ausschluss und Verdrängung von „störenden“ Individuen bzw. Gruppen angegangen werden sollten. Hier liegt der materielle ideologische Kern der autoritären Formierung auf gesellschaftlicher Ebene: Wenn ein soziales bzw. strukturelles Problem nur noch als Ausschluss- oder Zwangsverhältnis gedacht werden kann, bedarf es auch eines omnipotent-repressiven Staates für dessen vermeintliche Lösung. Die Fokussierung auf die Regulationsmomente Wettbewerbspolitik und sozialer sowie polizeilicher Repression, unter Zurückstellung sozialintegrativer Momente, stellt anscheinend keinen Verlust an ideologischer und politischer Durchsetzungsfähigkeit des gegenwärtigen Regimes dar.

Bei aller Ideologie hat die Organisation der unmittelbaren Staatsgewalt heute unter Umständen mehr Handlungsmacht als die Wirtschaftspolitik noch im Fordismus mit einer nachfrageorientierten Konjunkturpolitik besaß. Die Wirtschaftspolitik ist gegenwärtig im wesentlichen auf eine gesamtwirtschaftlich passive Angebotspolitik um die beste Standortqualität beschränkt, während die polizeiliche Eingriffsstruktur und die gesellschaftliche Sicherheitspartnerschaft noch einen Rest an Gestaltungsmacht besitzen: Das Flüchtlingsregime ist so hart, dass es kaum noch zu Asylanträgen kommt, der Kampf gegen die Drogenszene ist so umfassend, dass diese im Hamburger Stadtbild kaum noch wahrgenommen werden kann, die Ressourcen des Zolls zur Bekämpfung der Schwarzarbeit wurden verdoppelt, so dass das reale Lohnniveau auf den Großbaustellen nicht mehr weiter sinkt. Die sich abzeichnende konservative Parteienherrschaft der nächsten Jahre ist deshalb im wesentlichen Ausdruck und ggf. auch ein beschleunigendes Moment, nicht jedoch der eigentliche Motor der Entwicklung.

In diesem Zusammenhang wurde schon häufiger diskutiert, ob der autoritären Wettbewerbsformierung innere Grenzen gesetzt sind. Die Nachfrageschwäche in der Bundesrepublik beruht auf der Verarmungs- und Sparpolitik, gepaart mit der Zerschlagung des alten Sozialstaates und der dadurch ausgelösten Ängste. Eine autoritäre Zurichtung der Gesellschaft könnte auch den Effekt haben, dass kapitalistische Produktivität und Kreativität oder der notwendige internationale Austausch behindert werden. Dabei ist jedoch in den letzten Jahren sehr deutlich geworden, dass die politischen Stellvertreter des Kapitals sehr genau wissen, wann sie z.B. einen Antifaschismus von Oben inszenieren müssen. Autoritäre Regime in China oder auch Singapur liefern darüber hinaus den Beweis, dass politische Unfreiheit (nach bürgerlichen Maßstäben) nicht zu Produktivitätsverlusten oder einer Gefährdung der Weltmarktposition führen müssen.

Solange keine emanzipativen Gegenbewegungen entstehen, ist deshalb die Zunahme von zwei Momenten denkbar: Eine Monadisierung (Abschließung) bzw. Privatisierung der einzelnen, die sich in dem autoritären Regime einrichten zum einen und eine Zunahme autoritärer Tendenzen bzw. (Selbst)Zurichtung zum anderen, die in einer späteren Phase die Entwicklungen auf eine neue Stufe heben könnten, wenn diese eine losgelöste Eigendynamik entfalten. Der jetzige Stand autoritärer Wettbewerbsformierung würde eine solche Entwicklung begünstigen, weil andere Regulationsmomente, wie die einer sozialen oder freiheitsrechtlichen Integration, zur Zeit keine wesentliche Rolle mehr spielen. Zur Lösung einer sich stark zuspitzenden ökonomischen Situation läge dann in einem sich verengenden Entscheidungstrichter die massive Ausdehnung und qualitative Neuausrichtung der sozialen und polizeilichen Repression nahe. Ein wirkliches Gegenmoment zu einer solchen Tendenz entstünde nur, wenn in sozialen Kämpfen zumindest ein partieller Ausbruch aus der autoritären und wettbewerblichen (Selbst)Zurichtung gelänge. Insgesamt sind somit in den nächsten Jahren keine substanziellen Grenzen einer fortgesetzten autoritären Formierung erkennbar.

 Wenn die Einschätzung zur autoritären Formierung stimmt, dann stellt sich für die Linke die Frage, wie sie strategisch auf die Situation reagiert: Grundsätzlich sind wir in der Vergangenheit von der Annahme ausgegangen, dass der Schwerpunkt unserer Handlungsansätze auf den sozialen Fragen liegt. Der Kampf gegen staatliche Repression wurde als ein notwendiges Übel gesehen. Wir bildeten uns nicht ein, dass daraus eine emanzipative Dynamik entstehen würde. Denn Kämpfe gegen staatliche Gewaltverhältnisse verhalfen nicht zu einem breiteren Aufbrechen sozialer Widersprüche, die aus sich heraus am ehesten Ansätze zu sozialen Veränderungen und Alternativen in sich tragen.

In der jetzigen Situation ist jedoch u.U. ein eigenständiger, politisch ausgerichteter Kampf gegen die autoritären Verhältnisse notwendig. Zum einen schränkt die autoritäre Formierung zunehmend unsere Handlungsvoraussetzungen ein, wie z.B. bei der faktischen Aushebelung der Demonstrationsfreiheit. Zum anderen wird das repressive Moment auch zum zentralen sozialen Regulationselement. Statt tarifvertraglich abgesicherter Arbeitsverhältnisse folgt beispielsweise die faktische Durchsetzung eines Mindestlohnes aus der Bekämpfung der Schwarzarbeit. Wenn deshalb im Widerstand dagegen die staatliche Vorgehensweise polizeilicher Repression nicht angenommen, sondern unterlaufen wird, dann kann der Kampf gegen eine autoritäre Zurichtung über einen Abwehrkampf hinausgehen und auch ein allgemein emanzipatives soziales Potential entfalten.

Wie wirksamer Widerstand gegen die soziale und polizeiliche Repression aussehen kann und dabei allgemein befreiend wirkt, ist noch weitgehend offen. Die jüngste Kampagne gegen die Einführung des Arbeitslosengeldes II zum 1.1.2005 oder in den letzten Jahren in Hamburg gegen die Zerschlagung einer halbwegs aufgeklärten Drogenpolitik (die das Elend zumindest nicht vergrößerte) sind weitgehend gescheitert. Wie wir auf die neue gesellschaftliche Formierung, die sich zunächst noch weitergehend durchsetzen und verankern wird, Einfluss nehmen können, müssen wir vor allem auch in praktischen Auseinandersetzungen und begleitender Reflektion entwickeln. Historisch haben sich größere bzw. erfolgreiche revolutionäre Bewegungen immer vor dem Hintergrund einer Kombination sozialer, politischer und staatlicher Repression entwickeln müssen (u.a. die französische und die Oktoberrevolution).

Auch wenn eine solche Perspektive zur Zeit nicht gegeben ist, liegt in dieser möglichen Dialektik nicht nur ein konstituierendes, nämlich absicherndes, Moment des autoritären Wettbewerbsstaates. Es wird auch deutlich, dass die Auseinandersetzung mit der autoritären (Selbst)Zurichtung ein notwendiges Moment einer allgemeinen Befreiung ist. Hinreichend ist dies nicht, denn die soziale Befreiung von kapitalistischer und patriarchaler Vergesellschaftung ist die allgemeine Voraussetzung einer gesellschaftlichen Emanzipation. Der Kampf um öffentliche Räume kann dabei positiv als Ort verstanden werden, in dem die gesellschaftlichen Widersprüche überhaupt als soziale Konflikte zu Tage treten und ausgetragen werden können. Dabei ergeben sich auch Verbindungen zu den Privatisierungsstrategien von Staat und Kapital. Denn die sozialen Ausschlüsse gehen einher mit einer Privatisierungsdynamik, die repressiv durchgesetzt wird. Dabei besteht die Gefahr, dass die Linke bei der Aufrechterhaltung republikanischer Standards und der Gewährleistung von bürgerlichen Menschenrechten stecken bleibt, auch wenn diese schon als solche notwendige politische Grundvoraussetzungen darstellen. Doch in der autoritären Wettbewerbsformierung kann der Kampf gegen die soziale und polizeistaatliche Repression auch aus sich heraus ein systemsprengendes Moment haben. Die Auseinandersetzung mit der autoritären Zurichtung gewinnt eine neue Qualität, da das jetzige Regime unmittelbar von diesen Regulationselementen abhängt.

 

gruppe commode (CommunismusModern), hamburg im juni 2005